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Mensch, Martha!: Kriminalroman

Mensch, Martha!: Kriminalroman

Titel: Mensch, Martha!: Kriminalroman
Autoren: Eva Klöck
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willst!?«
    »Ja.« Das Mädchen blickt von
Martha zu Becker und wieder zurück zu ihr.
    »Können wir alleine reden?
... Ähm, ich meine, ich will das lieber Ihnen ... unter vier Augen
erzählen ... Es ist so ...« Das Mädchen schluckt.
    Martha freut sich. Becker,
das hätte dir so gepasst. Mich aus dem Wochenende holen, in den Ring
schicken und selber Spielbeobachter sein!
    »Klar«, sagt Martha und
bedenkt Becker mit einer kühlen Mach-dich-vom-Acker -Kopfbewegung.
    Becker zuckt mit den Achseln
und geht.
    Martha setzt sich an ihren
Schreibtisch. Das hat Straßenberger allen Kollegen eingebläut: Egal
ob Täter oder Opfer, egal wie ihr die Situation einschätzt, euer
Platz ist hinter dem Schreibtisch!
    Martha stellt das kleine
Tonbandgerät auf den Schreibtisch. »Nicole, ich will ein Band
mitlaufen lassen. Ist das in Ordnung?«
    »Wenn es sein muss. – Ich
will, dass dieses Dreckschwein drankommt!«
    In Marthas Kopf blitzt ein flash auf und beleuchtet für eine Millisekunde ein
schmuddliges Bett mit Metallgestell in einem schmuddligen Hotel
am anderen Ende der Welt. Ich auch.
    »Wir werden sehen. Wie alt
bist du, Nicole?« fragt sie, obwohl auf Beckers Zettel alle
wichtigen Angaben bereits erfasst sind. Sie braucht diesen Einstieg.
Und die meisten Opfer brauchen diesen Einstieg ebenfalls.
    »Fünfzehn.«
    Nicole bläst sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre schulterlangen Haare sind in
einem scheußlichen Blond gefärbt. Der Haaransatz ist
dunkelbraun. Sie trägt eine hautenge Jeans mit niedrig
angesetztem Bund. Martha kann förmlich fühlen, wie unbequem diese
Hose sein muss. Das knappe T-Shirt reicht gerade bis zum Nabel
und gibt am Oberarm ein Tattoo frei. Martha kann nicht erkennen,
was es darstellen soll. Insgesamt wirkt das Mädchen armselig.
    »Wo wohnst du, Nicole?«
    »Im Haus Tannenwald.«
    Martha kennt das Haus. Es ist
ein modernes Waisenhaus. Ein Haus für moderne Waisen, für
Sozialwaisen. Ein Heim.
    Heutzutage, im Zeitalter der
Euphemismen, heißt ein Heim also »Haus Tannenwald«. Klingt ja
schon mal ganz nett.
    »Hast du denn keine Eltern?«
    »Nur eine Mutter, aber mit der
hab ich nix wie Stress. Die will mich nicht.« Martha rutscht auf
ihrem Stuhl hin und her.
    Rebekka will von ihr immer noch
Märchen vorgelesen bekommen. Sie steckt den Wolf bei
Rotkäppchen und die böse Stiefmutter bei Aschenputtel weg.
Auch die Hexe bei Hänsel und Gretel – nicht aber deren Eltern.
    Diese Eltern stoßen Rebekka in
ein Tal der Tränen, aus dem sie stundenlang keinen Ausgang mehr
findet. Martha hat Hänsel und Gretel auf den Index gesetzt.
    Sie atmet tief durch. Sie kann
das, ohne dass ihr Gegenüber es merkt. Noch weiß sie nicht, was
dieser Nicole widerfahren ist. Aber ihr Lebenshintergrund und ihre
Erscheinung lösen Mitleid in ihr aus.
    Nicole verknotet die Finger
ineinander. Ihre Fingernägel sind abgebissen, die Nagelhaut
eingerissen. Sie trägt billige Ringe, die schwarze Ränder auf
der Haut hinterlassen. Unbewusst dreht Martha an ihrem schicken
Goldring am Mittelfinger der linken Hand, den sie sich letztes Jahr
selbst zu Weihnachten geschenkt hat. »Du musst mir jetzt erzählen,
was passiert ist. Warum du zu uns gekommen bist.«
    Nicole
schnieft und fährt mit dem Handrücken über die Nase.
    Die hat keine Mutter, die
ihr eingeschärft hat: Ein Taschentuch und eine Nagelfeile muss man
immer griffbereit haben.
    Martha holt aus der obersten
Schreibtischschublade ein Papiertaschentuch und reicht es ihr.
    »Gestern Abend hatte ich ganz
schlimmes Bauchweh.« Sie schnäuzt sich in das Taschentuch und
wischt sich dann eine Träne weg.
    »Ich ging dann in die
Sprechstunde von Dr. Radspieler.« Sie streicht sich Haare aus dem
Gesicht. Ihre Hände zittern.
    Martha registriert, wie ihr
Mund trocken wird.
    »Wer ist Dr. Radspieler?«
fragt sie und notiert sich unauffällig den Namen.
    »Ein Arzt, ein Kinderarzt. Wir
vom Tannenwald müssen alle zu ihm, wenn wir krank sind.«
    »Müssen?«
    »Ja, die Heimleitung bestimmt
das.« Nicole holt tief Luft. »Es war schon nach sechs. Ich war die
Letzte in der Sprechstunde. Die Sprechstundenhelferinnen waren
schon weg.« Ihre Stimme schwankt. »Dann hat er mich am Bauch
untersucht.«
    »Und?« Martha will, dass
Nicole es hinter sich bringt. Sie will es hinter sich bringen.
    »Dann hat er verlangt, dass
ich die Hose ausziehe und mich im Sprechzimmer auf die Liege lege.
Dann hat er mich ... begrapscht. Ich hab das nicht gewollt, aber ich
hab nicht gewusst, wie ich
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