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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
Autoren: Julianna Baggott
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mit klarer Flüssigkeit klemmten. Tropfen für Tropfen wanderte die Flüssigkeit durch die Schläuche. Überall piepten kleine Geräte, überall Kabel. Als hätte man so viele Mütter und Väter, dass man sie kaum zählen konnte.
    Auch an die breite Lampe erinnert sie sich, an die gleißende Glühbirne, die so hell und nah war, dass sie sie sogar wärmte. Sie weiß noch, wie sie zum ersten Mal mit den Fingern über ihre Haut strich und ihren Bauch berührte. Auch ihr Bauch war weich und glatt. Und die Vertiefung in ihrem Bauch – ihre Mutter hatte sie Bauchnabel genannt, die Stimmen im hellen Raum nannten sie Umbilicus – war verschwunden.
    Sie schiebt die Hand unter den Mantel und unter ihr Hemd, bis sie auf dem Bauch liegt. Genau wie damals – glatte Haut, nichts als glatte Haut.
    »Geheilt«, sagten die Stimmen hinter den weißen Masken, doch die Sorge war ihnen anzuhören. »Trotzdem, es ist ein Erfolg«, fügten sie hinzu. Manche wollten sie dabehalten. Zur Beobachtung, meinten sie.
    Das Mädchen will nach den fernen Gestalten mit den Säcken auf den Schultern rufen. Doch als sie versucht, den Mund zu öffnen, geht er nicht auf. Nicht vollständig. Als wären ihre Lippen links und rechts locker zusammengenäht oder miteinander verschweißt.
    Und was will sie überhaupt sagen? Ihr fallen keine Wörter ein. Die Wörter wirbeln in ihrem Kopf umher, sie bekommt sie nicht zu fassen, sie kann sie nicht aufreihen und aussprechen. Als es ihr doch gelingt, formen ihre Lippen nur zwei Worte: »Wir wollen!« Warum diese zwei Worte? Sie weiß es nicht. Wieder versucht sie, nach Hilfe zu rufen, wieder ruft sie stattdessen: »Wir wollen!«
    Die Gestalten nähern sich. Es sind zwei junge Frauen, zwei Pflückerinnen. Das sieht sie an ihren vernarbten, warzigen Fingern. Die beiden haben schon viele giftige Knollen, Beeren und Morcheln berührt. Wo eigentlich zwei Finger sein sollten, hat die eine zwei silberne Zacken, vielleicht von einer alten Gabel. Sie ist es auch, die ein Bein nachzieht. Ihr Gesicht ist zu einem dunklen Rot versengt und strahlt dennoch eine merkwürdige Schönheit aus. Vor allem wegen ihrer Augen, ihrer goldorange glitzernden Augen, die an geschmolzenes Metall erinnern – der helle Abglanz der Bomben selbst. Sie ist blind. »Wer ist wir?«, fragt sie, während sie sich am Arm der anderen Pflückerin festhält. Ihre Stimme klingt wie der Ruf eines Vogels. In dem hellen Raum hat das Mädchen Vogelgesang gehört, Aufnahmen, die von versteckten Lautsprechern abgespielt wurden. Gurren , denkt das Mädchen, und plötzlich hört sie auch die Vögel im Wald. Die Vögel krächzen wie die, mit denen sie aufgewachsen ist, ein Kreischen und Kratzen, ganz anders als die klaren, lieblichen Melodien in dem hellen Raum.
    Die beiden jungen Frauen fürchten sich vor ihr. Haben sie etwa schon erkannt, dass sie anders ist?
    Sie will ihnen sagen, wie sie heißt, aber sie kann sich nicht erinnern. Das einzige Wort in ihrem Kopf ist: Feuerblume. So wurde sie manchmal von ihrer Mutter genannt, weil sie im Feuer der Zerstörung geboren wurde und trotzdem Wurzeln schlug, trotzdem wuchs. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, aber sie ist sich ziemlich sicher, dass er im Feuer der Zerstörung verloren gegangen ist.
    Da taucht ein Name in ihrem Geist auf: Wilda. Sie heißt Wilda.
    Sie stützt sich auf den kalten Boden. Sie will den jungen Frauen sagen, dass sie erneuert ist. Dass die Welt eine andere ist, von jetzt an für alle Zeit. Stattdessen sagt sie: »Wir wollen unseren Sohn.« Sie zuckt zusammen. Warum hat sie das gesagt?
    Die jungen Frauen sehen sich an. Schließlich erwidert die Blinde: »Was? Welchen Sohn?«
    Über die Wange der anderen zieht sich eine Narbe, als wäre ein Zopf mit ihrem Gesicht verschmolzen und von einer Hautschicht überwuchert worden. »Ist wohl nicht ganz richtig im Kopf«, sagt sie.
    »Wer ist wir?«, wiederholt die Blinde.
    Und wieder sagt das Mädchen: »Wir wollen unseren Sohn.« Sie kann nichts anderes sagen.
    Auf einmal blicken sich die beiden um, selbst die Blinde. Offenbar hören sie, wie die Luft unter dem Feuern der elektrischen Synapsen erzittert. Die Wesen, die das Mädchen geholt haben, werden unruhig. »Es sind viele!«, ruft die mit der geflochtenen Narbe und reißt die Augen auf. »Sie steht unter ihrem Schutz. Spürst du sie nicht? Unsere Beobachter haben sie geschickt. Sie sollen über sie wachen.«
    »Engel«, sagt die Blinde.
    Die beiden weichen zurück.
    Doch Wilda zerrt ihren
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