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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Rose Tremain
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besaß – kamen vier, fünf oder sogar sechs Knöpfe, die offensichtlich und unleugbar Fehler aufwiesen. Er war traurig. Die Knöpfe schienen ihn flehend anzuschauen, ihn zu bitten, ihre jeweiligen Unvollkommenheiten zu übersehen. Doch er kümmerte sich nicht um ihr sentimentales Flehen. Man hatte ihm gesagt, die Zukunft Dänemarks hänge vom Ausmerzen schludriger Arbeit ab, und er hatte seinem Vater versprochen, sie mit der Wurzel auszureißen, wo und wann immer sie entdeckt wurde. Hier hatte er sie nun entdeckt und würde dementsprechend handeln.
    Er legte alle fehlerhaften Knöpfe auf einen Haufen, rief einen Diener und ließ sie fortschaffen. Später einmal würde er dem König berichten, daß der alte Knopfmacher ausgesprochen schlechte Arbeit leistete, und vorschlagen, ihm seinen Lebensunterhalt zu entziehen.
    Als Prinz Christian ein paar Tage später wieder auf Rosenborg war, nahm er den Knopfsack (der jetzt nur noch perfekte Knöpfe enthielt) aus dem Koffer und steckte seine Hand hinein. Da es nur noch wenige Knöpfe waren, stellte sich diesmal das Glücksgefühl, das er beim erstenmal empfunden hatte, nicht ein. Es war nicht mehr das schönste Geschenk, das er je bekommen hatte, sondern etwas ohne jede Bedeutung. Schon bald legte er den Sack wieder beiseite.
    Er mußte jedoch noch oft daran denken. Es verwirrte ihn. Er kam nicht hinter das Geheimnis. Er wußte, daß er nur einen Sack unvollkommener Dinge bekommen hatte, und dennoch war er davon geblendet und entzückt gewesen. Er hatte die Knöpfe geliebt. Das bedeutete, daß er etwas Fehlerhaftes geliebt hatte, etwas, was eine Schande für Dänemark war. Er wußte, daß es für all dies eine Erklärung geben mußte, konnte sich aber einfach keine vorstellen.

KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
    Ein Geburtstagsgeschenk, das ich nicht erwähnt habe, weil es noch nicht eingetroffen ist, bekomme ich noch von meiner Mutter Ellen Marsvin: Sie schenkt mir eine Frau.
    Sie möchten »Zofen« oder »Hofdamen« genannt werden, doch ich sehe nicht ein, warum dergleichen Titel Personen verliehen werden sollen, die in jeder Hinsicht unter mir stehen und nichts als bessere Diener sind. Daher bezeichne ich sie nur als meine Frauen. Natürlich haben sie Namen: Johanna, Vibeke, Anna, Frederika und Hansi. Doch diese fallen mir nicht immer ein, wenn ich sie brauche, so daß ich sage: »Frau, bring das weg!« oder: »Frau, mach die Tür zu!« oder welchen der tausendundein Befehle sonst ich ihnen täglich geben muß, von denen viele überflüssig wären, wenn sie weniger Zeit damit verbringen würden, sich wunderbare Ehrenbezeichnungen für sich selbst zu erträumen, und sich statt dessen mehr auf ihre jeweiligen Aufgaben konzentrieren würden.
    Vor nicht allzu langer Zeit beschloß ich, die Pflichten meiner Frauen in neue Kategorien einzuteilen. Ich finde meine Neuordnung wirklich genial. Jede von ihnen muß jetzt die Verantwortung für einen bestimmten Teil meines Körpers übernehmen, wie zum Beispiel meine Hände, Beine, meinen Kopf, Leib und so weiter. So brauche ich sie alle, um korrekt gekleidet zu sein, wodurch ich geschickt verhindere, daß sie mir auch nur einen Tag nicht zu Diensten stehen. Dieser Zwang, den ich dadurch auf sie ausübe, bereitet mir große Befriedigung und heimlichen Spaß. Mein Leben ist durch Beschränkungen und die Ausübung bestimmter, mir sehr unangenehmer Rituale stark eingeengt, und ich sehe nicht ein, warum das Leben einfacher Frauen frei von diesen Dingen sein soll, wenn es meins nicht ist.
    Als ich diese neue Einteilung der Pflichten meiner Mutter gegenüber erwähnte, fragte sie mich doch, obwohl sie es auch glänzend fand, ob ich nicht mehr Teile an mir hätte als Frauen. Ich antwortete, ich sei bei meiner Unterteilung logisch vorgegangen, und Johanna nenne sich nun Frau für den Kopf, Vibeke Frau für den Körper, Anna Frau für die Hände, Frederika Frau für den Rock und Hansi Frau für die Füße. (Diese Titel klingen nach Gildezugehörigkeiten, weshalb ich zu meinen Frauen sagte: »Bitte sehr! Ihr, die ihr so auf Titel aus seid, nehmt nun diese Bezeichnungen und seid glücklich damit!«)
    Dann meinte meine Mutter: »Aber das ist nicht alles , was du bist, Kirsten – Beine und Hände und so weiter.« Womit sie natürlich meint, daß alle Sterblichen seltsam vielschichtige wunderbare Wesen sind und gewisse Bedürfnisse und Gefühle in uns nicht genau oder völlig den von mir aufgestellten Kategorien zugeordnet werden können, aber
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