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Melli - einmal blinzeln und von vorn

Melli - einmal blinzeln und von vorn

Titel: Melli - einmal blinzeln und von vorn
Autoren: Stefanie Doerr
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natürlich. Hat Pia als Infoquelle und Türöffner benutzt. Was tun?« Mellis Augen wurden mit jedem Wort größer. Doch bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, setzte die Musik ein und der Vorhang wurde zur Seite gezogen. Im letzten Augenblick, bevor der Chor eine Art Ouvertüre sang, schaffte sie es, den Zettel an Lora weiterzuleiten.
    Die Zuschauerplätze waren bis auf den hintersten Notsitz ausgebucht. Allein die Eltern, Großeltern, Freunde und Angehörigen der Schüler, die beim Musical mitwirkten, besetzten zwei Drittel der Plätze. Der Rest war an Lehrer, irgendwelche Presseleute und möglicherweise normale Leute verkauft worden. Jeder wusste, dass es so lief. Und trotzdem – oder gerade besonders weil es so war und man jede zweite Person im Publikum kannte – war Melli ein Nervenbündel. Sie versuchte, die Gesichter zu erkennen, ihre Mutter, Kira und ihre gesamte angereiste Familie auszumachen, die Nachbarin, die versprochen hatte zu kommen, und alle anderen. Während der Chor eine kurze Verschnaufpause hatte und es rings um sie herum hüstelte und tuschelte, suchte sie die Reihen ab. Na bitte. Entdeckt: Christof, Kira, Pam, Adrian, ein Junge. Ein Junge! Melli kniff die Augen zusammen. Weder Haarfarbe und noch viel weniger die Augenfarbe konnte sie erkennen, dennoch gab es keine andere Möglichkeit: Dort, in der fünften Stuhlreihe neben Adrian, saß Jason. Mit ziemlich finsterem Gesicht allerdings. Oder war er nur müde? Immerhin musste er ja in aller Heimlichkeit hergezaubert worden sein und noch unter diesem ominösen Jetlag leiden. Außer Adrian und Pam hätten ihn seit zwei Tagen im begehbaren Wandschrank ihres neuen Domizils versteckt. Der war nämlich größer als ihr gesamtes altes Zimmerchen. Mellis Gedanken wanderten zu besagtem Haus, ohne das schemenhafte Gesicht dort unten aus den Augen zu lassen. Natürlich war es umwerfend – das Haus, nicht das Gesicht, also echt. Natürlich würden sie dort einziehen. Sie waren schon mittendrin. Adrian hatte den Mietvertrag noch am Tag ihrer ersten Besichtigung unterschrieben und Pam trug nach und nach Blumentöpfe, Haushaltsgegenstände oder kleinere Koffer »hinüber«, wie sie die Entfernung gerne herunterspielte. Melli würde jetzt näher an Jacob wohnen, war das nicht wundervoll? Melli schnaubte, was ihr einen tadelnden Blick des Chorleiters einbrachte. Sie würde bis zur letzten Sekunde in ihrem alten Häuschen ausharren. Am liebsten würde sie sich mit einem festen Seil und Zahlenschloss an einen der Fachwerksbalken anbinden. Aber diese Idee hatte sie ja bereits als nächsten Punkt auf ihrer Zu-erledigen-Liste gespeichert: Nach Jasons Ankunft verhindern, was ihr ja offensichtlich genauso wenig gelungen war wie Adrian loszuwerden.
    Elende Mistigkeit, jetzt spürte sie auch noch ein blödes Jucken im Hals. Im letzten Augenblick widerstand sie der Versuchung, sich ein Apotheker-Eukalyptus-Bonbon in den Mund zu stecken. Ein Zeitsprung hätte ihr gerade noch gefehlt. Tatsächlich hatte sie konsequent auf Scharfes verzichtet, seit Oma Doro ihren Verdacht geäußert hatte, dass ihr Problem damit zusammenhängen könnte. Und wirklich war sie seitdem verschont geblieben. Wo war Oma Doro eigentlich? Vermutlich saß dort auf ihrem Platz breit und überflüssig dieser unmögliche Jason. Sie räusperte sich, erntete einen zweiten bösen Blick des Chorleiters und nahm sich vor, den Rest der Aufführung ihr Bestes zu geben. Schließlich durfte sie ja ihr kurzes Solo nicht verpatzen. Schon allein, um Jason zu zeigen, mit was für einem umwerfend talentierten Mädchen er es in der nächsten Zeit zu tun haben würde. Der sollte sich auf etwas gefasst machen!
    Â»Ich fühle mich wie an Weihnachten und Ostern und meinem Geburtstag zusammen«, jubelte Lora, nachdem sie einigermaßen gesittet hinter der Bühne abgegangen waren und nun kieksend, lachend und plappernd umeinander herumhopsten.
    Â»Was für eine supersupersuper Aufführung! Ich bin so glücklich, so froh, so …« Ihr kritischer Blick landete auf Melli. »Was ist? Freust du dich nicht? Es lief doch perfekt, weder Ricarda noch sonst jemand lag daneben, wir alle waren großartig, sensationell, astrein und du machst ein Gesicht … Hast du wieder einen deiner Aussetzer gehabt oder sind wir jetzt gar nicht hier, sondern irgendwo in der Zukunft?«
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