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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels
Autoren: Barry Hughart
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Wind, die Katze und der Spieler mit seinen
Knittelversen liefen zur Hochform auf.
    »Roter Hammer sechs; das
ist ja'n Klecks !« schrie der aufgedunsene Spieler. Das hieß, er mußte
einen Wurf von eins und fünf übertreffen.
    »Huuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuhh«, heulte der Wind. »Jiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiauu !« jaulte die Katze.
    »Halbwegs im Himmel -
mit der Sieben aufm lahmen Schimmel.
    Her mit dem Geld !« schrie der Spieler, der gerade eine Sechs und eine
Eins geworfen hatte.
    Ich rutschte auf dem First
weiter und verlagerte mein Gewicht vorsichtig auf einen Bambussparren. Er
hielt. Ich holte die Schnur hervor und begann, das Loch zu messen, während
unter mir die Damen ihre zweite Strophe anstimmten. Ich mußte flüchtig daran
denken, daß mehr als einen wohlbehüteten Mandarin der Schlag getroffen hatte,
weil er zufällig die Yuang Pen- Lieder des Pöbels hörte.
    »Mach dein Glück, wenn
du noch jung bist,
    Herzchen, denn die
Schönheit entflieht.
    Nur Schlappschwänze
warten auf alte Jungfern,
    wie du eine wirst, bist
du erst verblüht;
    mit faltigem Bauch und
faltigen Brüsten, das Gesicht
    fleckig und
grauuuuuuuuuu,
    wartest du Nacht für
Nacht, und deine rote Nase
    weist den Weg zum
Bauuuuuuuuuuuuuuu !«
    Noch zwei oder drei Krüge
Wein, dachte ich, dann kommen sie richtig in Fahrt. Das wollte ich nicht
versäumen. »Huuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuhhh«, heulte der Wind. »Jiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiauu! jaulte die Katze. »Hört ihr, ich klopf ?« brüllte der glückliche Spieler, »ich hab den Tigerkopf! Her mit dem Geld!«
    Durch den Lärm hindurch
hörte ich undeutlich, wie der Nachtwächter die Doppelstunde der Ratte ausrief.
Ein neuer Tag hatte begonnen. Aus irgendeinem Grund griff ich, ohne zu
überlegen, nach ein paar Nägeln, zählte sie, addierte den Mond, den Tag und die
Stunde und befragte zum letzten Mal das Ta-shih. Ich zählte schnell an
den sechs oberen Knöcheln der drei mittleren Finger an der linken Hand ab und
starrte ungläubig auf den Zählfinger, der auf dem tödlichen sechsten Knöchel
anhielt. »Tod und Verlust ?« flüsterte ich.
    Was konnte es bedeuten? Die
Prophezeiung hatte sich doch mit dem Tod von Urgroßvater Ming erfüllt, es sei
denn, er war wieder lebendig geworden..., hastig kletterte ich hinunter und
spähte durch das Fenster der Mings, um festzustellen, ob die verdammte Katze
über den Sarg gesprungen war. Der Sargdeckel lag ordentlich auf seinem Platz.
Warum lautete der Orakelspruch immer noch auf Tod? Irgend
etwas stimmte nicht, absolut nicht. Es dauerte einen Augenblick, ehe mir
klar wurde, was es war.
    Nur die Katze und der Wind
spielten die kleine Nachtmusik. In Meister Lis Hütte war alles still -
totenstill. Schnell kletterte ich wieder auf das Dach und spähte durch das
Loch. Aha, das phänomenale Glück hatte den aufgedunsenen Spieler verlassen, der
eben noch zwei Fünfen mit einer Fünf und einer Sechs überboten hatte. Die
Schnur einer Eselspeitsche wand sich um seinen rechten Arm; sie hatte den Ärmel
hochgeschoben und enthüllte eine am Unterarm befestigte Lederröhre. Die Würfel,
die er hatte verschwinden lassen, um sie gegen falsche auszutauschen, rollten
über den Fußboden. Überflüssigerweise registrierte ich, daß er so und so
gewonnen hätte: »Himmel«, zweimal die Sechs lachte mich an. Der Dummkopf
beschloß, etwas noch Gefährlicheres als falsche Würfel zu versuchen. Der Griff
der Eselspeitsche befand sich in Meister Lis linker Hand, und dem Betrüger
konnte nicht entgehen, daß Meister Lis Augen wie schmale Eisstük-ke wirkten.
Trotzdem griff der törichte Mann in sein Gewand und zog ungeschickt ein Messer
hervor. Natürlich hatte er nicht die geringste Chance. Ich sprang zwischen die
zwei Sparren und brach durch das Dach wie ein Wasserbüffel durch hauchdünnes
Eis. Ich hatte gut gezielt und landete auf der linken Schulter des Dummkopfs -
aber ich kam zu spät. Als ich wieder auf den Füßen stand, tropfte an mir die
rote Brühe herunter.
    »Tut mir leid ,
Ochse. Der Sohn einer Drecksau hat mich angegriffen«, sagte Meister Li und
starrte angewidert auf die Leiche.
    Er meinte damit, der Mann
hätte sich ordentlich umbringen lassen und sich nicht bewegen sollen, denn dann
hätte Meister Lis Wurfmesser ihm nicht die Halsschlagader durchschnitten. Mord
war das einzige passende Wort. An der Art, wie der Mann das Messer gehalten
hatte, konnte Meister Li den stümperhaften Laien erkennen. Er wußte natürlich
auch, daß ich auf dem Dummkopf landen würde,
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