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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels
Autoren: Barry Hughart
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noch ehe er zwei Schritte tun
konnte. Meister Li sah mich bedauernd an, breitete die Arme aus, zuckte mit den
Schultern, und wir gingen zusammen hinaus, um mehr Schilfgras zu holen. Es ist
erstaunlich, wieviel Blut sich in einem menschlichen Körper befindet. Wir
würden mindestens vier Arme voll Gras brauchen, um die Pfütze auf dem Boden
aufzuwischen.
    Wenigstens störten uns
keine Gäste dabei. Sie waren wie Traumgestalten verschwunden und würden
innerhalb einer halben Stunde Zeugen haben, die bereit waren zu schwören, daß
sie die Nacht im Tempel an der Westbrücke auf der anderen Seite von Peking
verbracht hatten, um Chu-Chuan Shen, dem Schutzpatron der Schweineschlächter,
zu opfern.
    Meister Li kniete neben der
Leiche. »Keine Ahnung, wer das war«, murmelte er, »ich hab ihn in der Kneipe
gesehen, und er kam mir irgendwie bekannt vor. Also hab ich ihn auch eingeladen .«
    Nichts identifizierte den
Toten. Im Geldgürtel befand sich ungewöhnlich viel Gold. Meister Li betrachtete
die verfärbten Fingernägel des Mannes und sagte, er habe mit einer Reihe
Säuren, die man zur Metallveredlung verwendet, gearbeitet, obwohl er sonst
keine Ähnlichkeit mit einem Alchimisten hatte. In einer versteckten Tasche
befand sich ein Beutelchen aus Schweinedarm, aus dem kleine graue Wölkchen
hervorkamen, wenn man darauf drückte. Meister Li stieß einen Pfiff aus.
    »Das ist ein kleines Vermögen,
Ochse«, sagte er, »pulverisierter Teufelsschirm und, soweit ich es beurteilen
kann, völlig rein. Vielleicht ist es nicht gerade das beste ,
aber bei weitem das teuerste ling-chih. Von dem Stoff wird man besonders
süchtig. Solche Pilze wachsen seit hundert Jahren in der Umgebung von Peking
nicht mehr wild .« Sonst entdeckte er nichts
Interessantes. Mings Katze und der Wind heulten mich an, als ich mit der
blassen, blutleeren Leiche über der Schulter hinaus auf die Gasse trat. Die
kalte Luft roch nach Regen. Kleine schwarze Wolken huschten über den
windgepeitschten Himmel, Sterne blinkten wie eine Milliarde Glühwürmchen, und
der Mond wirkte wie das große geblähte gelbe Segel eines Schiffes, das über ein
blauschwarzes Meer auf riesige Wolkenklippen im Westen zujagte, wo grelle
Blitze zuckten.
    Niemand sah, wie ich in den
verlassenen Schmugglertunnel schlüpfte, der von der Gasse unter der städtischen
Abfallhalde zum Kanal führte. Als ich wieder ins Freie trat, war der Himmel
beinahe völlig von Wolken überzogen, und ich konnte die Mole und das dunkle
Wasser darunter kaum erkennen. An der Mole lagen schwere Steine. Ich knotete
das andere Ende eines geteerten Seils um die Beine der Leiche. Sie glitt
geräuschlos ins Wasser und sank hinunter zu den anderen. 1 Der Vorfall war erledigt. In unausgesprochener
Übereinkunft vergaßen Meister Li und ich die Sache mit dem Falschspieler und
hatten nicht die Absicht, ihn noch einmal zu erwähnen. Das Loch im Dach würde
bis zum nächsten Morgen warten müssen. Erschöpft ließ ich mich auf meine
Pritsche fallen, während Meister Li vor einem Krug Wein hockte, auf das
Trommeln des Regens lauschte, der wie ein Silberschauer durch die beiden Löcher
fiel. Zu seinen Füßen bildete sich eine kleine Pfütze. Bevor ich die Augen
schloß, sah ich als letztes, wie der Meister düster auf sein Ebenbild im
Regenwasser starrte, das im Kerzenlicht wie ein Spiegel glänzte.
    Ich erwachte in dem
Bewußtsein, daß etwas Merkwürdiges geschehen war. Während der Nacht schien ein
Gewicht von mir genommen worden zu sein. Ich hatte das noch stärkere Gefühl,
daß bald etwas Dramatisches geschehen würde, doch diesmal standen die Zeichen
günstig. Es war, als seien Meister Lis Zorn und der Mord eine notwendige
Reinigung gewesen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte wieso. Meister Li
krümmte sich wie gewöhnlich stöhnend unter der Last des Morgenlichts, und ich
linderte seinen Kater mit einer Kompresse aus heißen, in Scheiben geschnittenen
Ingwerwurzeln. Er spürte von der reinigenden Wirkung der vergangenen Nacht
anscheinend noch nichts, denn ihm taten alle Knochen im Leib weh.
    Der Morgen ging in Dunst
und Nieseln unter. Etwa um die Stunde der Ziege sprang Meister Li auf, griff
nach Mantel und Regenhut und machte sich auf den Weg zur Kneipe des Einäugigen
Wong - üblicherweise ein schlechtes Zeichen, denn er weiß sehr gut, daß das
berühmte Bouquet von Wongs Wein von zerstampften Kakerlaken stammt. Ich
zweifelte inzwischen nicht mehr daran, daß etwas Dramatisches, etwas Wichtiges
auf den
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