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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels
Autoren: Barry Hughart
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alten Mann zukam, und ich begleitete ihn fröhlich an seinen Stammplatz.
Meister Li setzte sich und erinnerte mich an neunzig Pfund Schießpulver, das
auf den Funken wartet. Und das ist alles, was ich mit Sicherheit über den
unheimlichen Fall Shi tou chi weiß. Ich verstand nichts von dem, was
folgte. Ich kann die Ereignisse nur so niederschreiben, wie ich sie erlebt
habe, und offen gestehen, daß mir die Feinheiten entgingen. Nur die Feinheiten
hätten sagen können, was wirklich vorging, was wichtig war und was nicht.
    »Beginne am Anfang«, sagte
Meister Li, »so wie du ihn verstanden hast, berichte bis zur Mitte, erzähl
weiter bis zum Ende und hör dann auf .« Das will ich
tun, und vielleicht schreibt mir ein freundlicher Leser und erklärt mir die
ganze Geschichte.
    »Hast du sie wieder einmal
erwischt, Wong«, sagte er. »Eines Tages werde ich nicht treffen«, sagte der
Einäugige Wong düster.
    Der Beamte starrte auf die
Schöne hinunter, sah, wer sie war, und wurde grün. »Buddha schütze mich !« jammerte er und stürmte mit solcher Hast davon, daß er
seine Geldbörse auf dem Tisch vergaß - ein gefundenes Fressen für die
Speichellecker, die den Inhalt auf der Stelle untereinander verteilten. Wong
hob die Prinzessin auf und trug sie zu einer Seitentür. Das letzte, was ich von
ihr sah, waren livrierte Diener, die sie in Empfang nahmen und in einer
seidenen Sänfte davontrugen.
    »So viel zu Vorahnungen«,
sagte ich zu mir. Meister Li wurde dunkelrot. »In was für einer Welt leben
wir«, sagte er und atmete laut durch die Nase, »Ochse, dieses wunderschöne
Wesen ist Dame Hou und nebenbei einer der drei besten Poeten des Landes. In
einer zivilisierten Zeit würde man sie ehren, auszeichnen und in den Himmel
heben, aber wir leben in der Zeit der Neokonfuzianer .« Er schlug so heftig auf den Tisch, daß sein Weinkrug in die Luft sprang. Ich
fing ihn auf, damit der Inhalt nicht auf sein Gewand spritzte und Löcher
hineinbrannte. »Lug und Trug, Ochse !« rief er wütend.
»Wir leben in einem Land, das so weit heruntergekommen ist, daß die am meisten
geschätzten Kunstformen Betrug und Fälschungen sind. Die Neokonfuzianer können
die Tatsache nicht hinnehmen, daß eine Frau so begabt sein kann, und natürlich
kontrollieren sie die kaiserlichen Zensoren, die alles kontrollieren, was
veröffentlicht wird. Sie ließen sich gnädig dazu herab, die Gedichte dieser
Dame zu veröffentlichen. Dame Hou entdeckte zu ihrem Erstaunen anstelle ihres
Namens den Vermerk: Yang Wan-li zugeschriebene Das war wirklich sehr
geschickt. Damit wurde impliziert, daß jemand einen klassischen Stil kopierte,
und indem man eine echte Leistung als Fälschung klassifizierte, hat man Dame
Hou im Grunde ihrer Identität beraubt. Seitdem zerstört sie ihren Geist mit
Feuerhüllen und schneidet Neokonfuzianern die Kehle durch. Aber es gibt einfach
zu viele. Am Ende werden sie gewinnen. Irgendwann wird sie davon überzeugt
sein, daß sie tatsächlieh nicht existiert, und in Wirklichkeit eine Teekanne
oder etwas Ähnliches ist. Dann wird man sie einsperren, und der Anführer der
Neokonfuzianer wird ihre Gedichte freundlicherweise als seine eigenen ausgeben .« Er leerte seinen Wein mit einem Zug und bestellte bei der
Fetten Fu durch ein Zeichen einen neuen Krug. »Mein Junge«, sagte er düster,
»wir leben in den letzten Tagen einer ehemals großen Kultur. Der Verfall hat eingesetzt,
und sie übertünchen ihn mit Lügen und vergolden ihn mit Narrengold. Eines Tages
wird alles von einem starken Wind davongeblasen werden, und wo sich einmal ein
blühendes Reich befand, wird es nur noch ein Loch geben, durch das ein paar
Fledermäuse fliegen .«
    Er war niedergeschlagen,
aber ich war froh. Ich wußte mit unerklärlicher Sicherheit, daß meine Vorahnung
doch richtig gewesen war. Ich hatte nur an den falschen Mann gedacht.
Vermutlich hatte es etwas mit dem Entsetzen in der Stimme zu tun, die ich hörte
- ich konnte nicht sehen, wer es war, aber jemand bahnte sich einen Weg durch
die Menge und intonierte dabei immer und immer wieder dieselben
unverständlichen Worte. Selbst Meister Li blickte von seinem Weinkrug auf und
wurde aufmerksam. »Interessant«, sagte er mit einer Spur Leben in der Stimme,
»man hört nicht oft das alte Sanskrit, genau gesagt das Große Gebet der
Herzsutra: Gyate, gyate, haragyate, harosogyate, bo-chi, sowaka! Das
heißt: »Vorbei, vorbei, alles vorbei, wirklich alles vorbei, welch ein Erwachen,
Heil !« Niemand kann
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