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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
Autoren: Barry Hughart
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seinem Rücken und verneigten uns tief. Der Fürst der Vögel des Krieges sah uns mit seinen gelben rauchigen Augen an.
    »Ich werde Euch nicht Lebewohl sagen. Der Rabe hat mir erzählt, daß es uns bestimmt ist, uns wiederzusehen... beim großen Kampf mit der Weißen Schlange in der Geheimnisvollen Höhle der Winde hoch oben in den Bergen. Der Rabe irrt sich nie«, sagte der Falke, breitete die Schwingen aus, hob und senkte sie, einmal, zweimal, stieg in die Luft auf und glitt davon, zurück zur Brücke und zu seiner Prinzessin.
    Li Kao und ich rannten zum Krankenzimmer. Der Abt kam uns entgegen, um uns zu begrüßen. Er war völlig erschöpft, und ein Blick verriet uns, daß die Kinder nicht mehr lange durchhalten würden. »Wir bringen die Große Wurzel!« schrie ich. »Meister Li hat die Ginsengkönigin gefunden, und sie ist bereit uns zu helfen!«
    Meister Li und der Abt bereiteten die Phiolen vor, und ich lief von Bett zu Bett. Ich hielt den Kindern die Wurzel vor das Gesicht, nannte ihren Namen und zählte ihre Vorfahren auf. Vermutlich war das albern, doch ich erinnerte mich, daß die Geschichte von Jadeperle damit begonnen hatte, daß die Ginsengkönigin Mitleid mit einem Kind empfand und das kleine Mädchen fragte, ob es sich verirrt habe. Und die Kinder meines Dorfes hatten sich wirklich verirrt. Ich lief zu Meister Li, und er legte die Wurzel ehrfurchtsvoll in die erste Phiole.
    Ich kann den Duft unmöglich beschreiben, der die Luft erfüllte, als Meister Li die Phiole aus dem kochenden Wasser nahm und den Stopfen entfernte. Doch der alten Mutter Ho stieg der Dampf direkt ins Gesicht, sie warf ihre Krücke beiseite und hat sie seitdem nie wieder benutzt. Der Abt und Meister Li begannen ihre Runden: drei Tropfen auf jede Zunge.
    Die Gesichter der Kinder röteten sich, die Bettdecken hoben und senkten sich von ihren tiefen Atemzügen, sie setzten sich auf, und ihre Augen blickten in ihre Welt des Hüpf-Versteck-Spiels. Die zweite Runde mit drei Tropfen: Die glücklich lächelnden Gesichter richteten sich alle gleichzeitig in Richtung Drachenkissen. »Jade-Pracht, Sechs, acht. Feuer, das heiß brennt. Nacht, die man nicht Nacht nennt. Feuer, das kalt brennt. Silber, Gold. Doch wer es kennt, Sieht ein anderes Element«, sangen die Kinder von Ku-fu.
    Die dritte und letzte Runde: Drei Tropfen, und die Essenz reichte gerade für alle Kinder. Sie hörten plötzlich auf zu singen, saßen regungslos in den Betten und blickten mit aufgerissenen Augen ins Leere. Niemand wagte zu atmen. Im Kloster herrschte völlige Stille, bis Großer Hong es nicht mehr ertragen konnte. Er lief zu seinem Sohn und bewegte die Hand vor den leuchtenden Augen seines Jungen hin und her. Nichts geschah.
    Großer Hong fiel auf die Knie, sein Kopf sank in den Schoß des kleinen Jungen, und er begann zu weinen.
    Meister Li ist überzeugt, daß die wahre Geschichte von der Brücke der Vögel für den Geschmack von Priestern und Palast-Eunuchen viel zu derb ist, und daß angemessen kultivierte und fromme Legenden erfunden werden, um das außergewöhnliche Ereignis zu erklären, das am siebten Tag des siebten Mondes im Jahr des Drachens 3338 (640 n.Chr.) das ganze Reich in Erstaunen versetzte. Er glaubt auch, daß man vermutlich künftig ein Fest der Liebenden feiern wird, zu Ehren einer bescheidenen kleinen Göttin, die saumlose Gewänder webt, und eines bescheidenen kleinen Gottes, der Kühe melkt, und ein paar Elstern, die für Komik sorgen. Vielleicht... aber im Dorf Ku-fu im Tal von Cho wird man fortan den Augenblick feiern, in dem die Ginsengkönigin prüfte, probierte und dann vorsichtig das Ku-Gift an sich zog und in ihr Herz aufnahm. Kleiner Hong blinzelte und senkte den Kopf.
    »Was ist denn los?« fragte er.
    Das Vertrauen Ihrer Majestät wuchs, sie setzte ihre ganze Macht ein, und Kind um Kind blinzelte und schüttelte den Kopf, als wolle es sich von Spinnweben befreien. Und alle wollten sie wissen, weshalb ihre Eltern weinten. Die Kinder waren sehr schwach.
    »Hinaus!« schrie Meister Li, »tragt die Kinder hinaus in den Hof!« Die Betten wurden in einer langen Reihe im Hof aufgestellt, und die Kinder blickten verwundert auf das seltsame Leuchten am Horizont, wo ein zweiter Mond aufzugehen schien. Und dann stand die Brücke der Vögel über dem Drachenkissen. Die Ginsengkönigin lächelte bestimmt, als sie sah, daß ihre geliebte Patentochter den letzten Schritt zur Heilung tat. Die Welt war in den Duft grüner Zweige und Äste
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