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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
Autoren: Barry Hughart
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Sorgfalt; wir sind davon überzeugt, daß kein Dorf auf der ganzen Welt besser geplant wurde als das Dorf Ku-fu. Unsere Ahnen legten es so an, daß es vor der Schwarzen Schildkröte geschützt war. Die Schwarze Schildkröte hat einen sehr schlechten Charakter. Ihre Himmelsrichtung ist Norden, ihr Element das Wasser und ihre Jahreszeit der Winter. Ku-fu öffnet sich dem Roten Vogel des Südens, dem Element Feuer und der Jahreszeit Sommer. Die Hügel im Osten, wo der Blaue Drachen lebt, mit dem Element Holz und der hoffnungsvollen Jahreszeit Frühling, sind mächtiger als die Hügel im Westen. Dort sind die Metalle, der Weiße Tiger und der Herbst, die melancholische Jahreszeit, zu Hause. Die Form von Ku-fu war Ursache gründlicher Überlegungen, denn jemand, der ein Dorf in Form eines Fisches anlegt, während ein Nachbardorf die Form eines Hakens hat, beschwört das Unheil geradezu herauf. Ku-fu erhielt schließlich die Umrisse eines Einhorns, eines sanften, friedlichen Tieres, das keine natürlichen Feinde besitzt. Doch es mußte sich ein Fehler eingeschlichen haben, denn eines Tages ertönte ein heftiges Schnauben, und die Erde erbebte. Mehrere Häuser stürzten ein, und ein breiter Spalt zog sich durch die Erde. Unsere Ahnen überprüften ihr Dorf aus jedem möglichen Blickwinkel, und man entdeckte schließlich den Fehler, als jemand in den Hügeln im Osten auf einen hohen Baum kletterte und auf das Dorf hinabblickte. Durch ein dummes Versehen hatte man die letzten fünf Reisfelder so angelegt, daß sie die Flügel und den Leib einer riesigen, hungrigen Bremse bildeten, die auf der zarten Flanke des Einhorns saß. Und natürlich hatte das Einhorn ausgeschlagen. Man gab den Feldern die Form eines Verbandes, und Ku-fu wurde nie wieder von Erdbeben heimgesucht.
    Unsere Ahnen achteten darauf, daß es keine geraden Straßen oder Wasserläufe gab, die gute Einflüsse hätten davontragen können. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme errichteten sie am Ende eines engen kleinen Tals einen Damm und leiteten Bäche die Abhänge der Hügel hinunter. So entstand ein kleiner See, der gute Einflüsse sammelte und bewahrte, die sonst in andere Dörfer geflossen wären. Ästhetische Absichten verfolgten sie dabei bestimmt nicht. Die Schönheit unseres Sees ist also wirklich ein zufälliges Ergebnis des Aberglaubens, und als der große Dichter Ssu-ma Hsiang-ju auf einer Wanderung an diesem kleinen See vorüberkam, hielt er an und war von der Schönheit so beeindruckt, daß er einem Freund schrieb:
     
    Im Wasser tummeln sich Fisch und Schildkröten. Zahllose lebende Wesen,
    Wildgänse und Schwäne, Graugänse und Trappe
    Kraniche und Enten,
    Taucher und Reiher
    Landen in Scharen auf dem Wasser,
    Segeln schwebend über der Oberfläche,
    Treiben im Wind,
    Schaukeln auf und nieder mit den Wellen,
    Schwimmen im Schilf an den Ufern,
    Fressen Binsen und Entengrütze,
    Picken an Wasserkastanien und Lotus.
     
    So ist es auch heute noch. Ssu-ma Hsiang-ju war nicht zu der richtigen Zeit da, um die zahllosen Wildblumen blühen zu sehen oder die kleinen gesprenkelten Hirsche, die ans Wasser kommen, um zu trinken und wie Rauch Wölkchen wieder verschwinden. Die Mauer von Ku-fu, das Drachenkissen, ist als Wahrzeichen sehr viel berühmter. Man muß darauf hinweisen, daß es viele unterschiedliche Geschichten über die Entstehung des Drachenkissens gibt. Doch wir in Ku-fu sind der Ansicht, daß unsere Version die einzig richtige ist.
    Vor vielen Jahrhunderten lebte ein General, der den Befehl erhielt, eine der Verteidigungsmauern zu errichten, die Teile der Großen Mauer bilden sollten. Eines Nachts träumte er, der Himmel habe ihn gerufen, um seinen Plan dem Erlauchten Jadekaiser zu unterbreiten. Der General wurde wegen Hochverrats angeklagt. Im Verlauf der Verhandlung schilderte er sehr anschaulich seine Reise in den Himmel.
    Er träumte, sich im Innern einer riesigen Lotusblüte zu befinden. Ihre Blütenblätter öffneten sich langsam und bildeten eine Tür. Der General trat hinaus auf den smaragdgrünen Rasen des Himmels. Das Himmelszelt war saphirblau, und vor seinen Füßen sah er einen Weg aus Perlen. Eine Weide hob einen Zweig und wies ihm damit wie mit einem Finger die Richtung. Der General folgte dem Weg zum Fluß der Blüten, der sich über den steilen Felsen des Großen Erwachens hinunterstürzte. Die Konkubinen des Himmelskaisers badeten im Teich der Lieblichen Düfte. Sie lachten und spielten in einem Regenbogen aus Rosenblättern und
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