Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
eifersüchtig, und alle, die reinen Herzens sind, erkennen eine Göttin unfehlbar. Ich hatte Anlaß, mich über das reine Herz von Ochse zu äußern, und unter seinem abstoßenden Äußeren war Geizhals Shen ein wahres Goldstück. Ich bezweifle nicht, daß die anderen Liebhaber ebenso liebenswert sind, und deshalb konnte ich die junge Dame nicht erkennen.«
    Er stand auf und verbeugte sich noch einmal vor Lotuswolke. »Ich habe eben«, sagte Meister Li, »einen kleinen Charakterfehler.« Er setzte sich, füllte zwei Becher mit Wein und schob sie für Lotuswolke und mich über den Tisch. Dann nahm er die Perle in die Hand, die er zusammen mit den Edelsteinen dem Schlüsselhasen gezeigt hatte.
    »Meine Dummheit war so groß, daß mir das Augenfällige entging, bis ich das hier fand«, sagte er traurig, »es ist eine sehr seltene Perle. Sie ist tiefschwarz mit einer kleinen weißen Wolke in Form eines Sterns. Lotuswolke, ich habe diese Perle einmal unserem Ochsen gegeben, der sie vor Eure Füße rollen ließ. Das nächste Mal sah ich sie in einer versunkenen Stadt neben dem Kästchen mit dem Herzen des Herzogs. Mein liebes Mädchen, ich wußte sehr gut, daß Ihr Perlen und Jade, die man Euch schenkt, nach kurzer Zeit vergessen habt. Doch es kam mir nie in den Sinn, mich zu fragen, was mit dem ganzen Zeug geschah...«
    Er drehte sich um und betrachtete sinnend das Gewand auf dem Fußboden.
    »Der Herzog von Ch'in war bodenlos dumm. Aber bei einer Gelegenheit bewies er wirklich Intelligenz. Nachdem der Alte vom Berg der Prinzessin der Vögel die Erinnerung genommen hatte, schlug er zur Sicherheit vor, sie für viel Geld in einen Regentropfen oder in ein Rosenblatt zu verwandeln. Aber der Herzog hatte eine bessere Idee. Er lebte nur für Geld, und wenn er Jadeperle genauso ließ, wie sie war, besaß er etwas, das mehr wert war als zehntausend Goldminen. Wißt Ihr, es liegt im Wesen der Männer, eine Göttin anzubeten und ihr wertvolle Opfergaben zu bringen. Und es liegt im Wesen einer Göttin, die Anbetung der Männer und ihre Opfergaben entgegenzunehmen. Die Männer sind nicht wollüstig. Die Göttin ist weder habgierig noch promisk. Sie spielen lediglich Rollen, die von Anbeginn der Zeit festgelegt wurden. Nach meinem Wissen hat Lotuswolke mehr Perlen und Jade eingeheimst als das ganze Heer des Herzogs von Ch'in. Alles endete in Schatzkammern, die von Ungeheuern bewacht wurden.«
    Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ich hob den Becher und leerte ihn mit einem Zug. Lotuswolke schien wie erstarrt zu sein und vergaß den halb erhobenen Becher. »Ich kann es nicht glauben«, flüsterte sie.
    »Ich wette, er hatte zunächst seine Zweifel«, sagte Meister Li. Dann begann er zu lachen... ein Lachen, das tief in ihm aufstieg und mit einem fröhlichen Glucksen endete. »Es ist etwas unbeschreiblich Komisches daran, daß dem habgierigsten Mann auf der Welt die bescheidenste Göttin der Geschichte in die Hände fällt«, japste er und wischte sich die Lachtränen vom Gesicht. »Ochse, der Herzog muß schrecklich an Magengeschwüren gelitten haben, ehe er den einzigen schwachen Punkt bei Lotuswolke entdeckte. Denk darüber nach. Denk gründlich über Perlen und Jade nach, denn es hilft dir vielleicht, etwas Unangenehmes zu tun.«
    Er füllte meinen Becher, während ich versuchte, über Perlen und Jade nachzudenken. Mein Kopf verweigerte mir den Dienst, aber etwas versuchte, sich aus der Tiefe nach oben zu arbeiten. Deshalb gab ich den Versuch auf zu denken und ließ zu, was geschah. Ich schloß fest die Augen und befand mit plötzlich in einer eigenartigen Welt, die milchigweiß schimmerte. Ein dreizehnjähriges Mädchen blickte mich ernst an.
    »Seit wir uns an den Händen gehalten und das Lied der Waisen gesungen haben, weiß ich, daß du dich in Lotuswolke verlieben würdest«, sagte sie sanft. »Ochse, du mußt deine ganze Kraft aufbieten und versuchen, die Königin zu berühren, ehe neunundvierzig gezählt sind. Neunundvierzig kann für immer und ewig bedeuten.« Maus verschwamm in Weiß. »Sind tausend Jahre nicht genug?« fragte sie leise. »Die Vögel müssen fliegen... Die Vögel müssen fliegen... Die Vögel müssen fliegen...«
    Die Erscheinung war verschwunden, und ich erinnerte mich daran, daß die Welt weiß gewesen war, weil ich mich in meinem Traum im Innern einer Perle befunden hatte, und plötzlich verstand ich die Bedeutung der Perle.
    Ich öffnete die Augen und stellte fest, daß Li Kao mich streng, aber mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher