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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich
Autoren: Marlis Prinzing
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seit Jahrzehnten zu. 1962 waren die ehedem zu »Ruanda-Urundi« zwangsvereinigten Regionen Ruanda und Burundi wieder in zwei Staaten getrennt worden. In Ruanda regierte die Hutu-Mehrheit, in Burundi die Tutsi-Minderheit. Eine Hutu-Rebellion in Burundi im Frühjahr 1972 diente dem Tutsi-Regime als Vorwand, um Tausende Hutu verschwinden zu lassen oder zu ermorden. Der Konflikt blieb. Er eskalierte 22 Jahre später in Ruanda zum Genozid.
    Im Krisenjahr 1972 setzte sich Lea, nach fünf Jahren im Land, in ein Flugzeug nach Deutschland. Eigentlich wollte sie nur Urlaub machen und sie wollte Schulbücher kaufen. Weil sich die Chance bot zu einem Aufbaustudium, blieb sie. Und als sie erfuhr, dass eine Promotion in ähnlicher Zeit zu bewältigen war, stand ihr Ziel fest sowie das Thema der Doktorarbeit, die sie 1977 an der Universität in München einreichte: »Erziehung und Bildung in Ruanda. Probleme und Möglichkeiten eines eigenständigen Weges«. Sie musste dazu nur ihre reichen Erfahrungen auswerten und profitierte selbst, indem sie Raum fand für die wissenschaftliche Reflexion ihres Tuns. Die frisch promovierte Pädagogin vertiefte durch weitere Theologiekurse in Toulouse ihr Wissen, arbeitete danach als Bildungsreferentin für das internationale katholische Missionswerk Missio und unterrichtete an der Universität Eichstätt.
    Dreizehn Jahre nach der ungeplanten Rückkehr aus Ruanda, 1985, schickte ihr Orden sie wieder nach Afrika, nun nach Kenia. In Mombasa sollte sie helfen, Lehrpersonal für den Religionsunterricht auszubilden.
    Ehe sie dort vorsprach, besuchte sie die Weltfrauenkonferenz in Nairobi. Die Leitidee des Kongresses – Frauen gehört die Hälfte des Himmels und die Hälfte der Erde – sprach ihr aus der Seele. Genau so sah sie das auch: Die Kirche muss endlich ihre Ämter auch Frauen öffnen. Das Tagungsthema »Gewalt gegen Frauen« gab den letzten Anstoß für ein Vorhaben, mit dem sie seit Längerem schwanger ging. Sie wollte unbedingt den Opfern des Sextourismus helfen. »Ich ahnte durch meine Reisen nach Thailand und auf die Philippinen, was ablief.« Und nicht nur dort, sondern auch in Afrika, wohin sie ihr Orden entsendet hatte. »Ich konnte nicht einfach wegschauen. Das konnte ich nie. Ich war ins Kloster gegangen, um mich um ausgegrenzte Kinder Gottes zu kümmern«, erläutert sie und man spürt in ihrer Stimme deutlich ihre Empörung über das Milieu des Sexgewerbes. »Beim Menschenhandel verlieren immer die Kinder und die Frauen, Prostituierte ganz besonders; bei den Konzernen landet der Profit.«
    Wieder bot sich eine Chance: »Die Schwestern in Kenia sagten, sie brauchten mich nicht unbedingt für die Lehrerausbildung. Und die Provinzialoberin traute mir zu, mein Projekt auf den Weg zu bringen.« Das Okay war aber auch schon die ganze Unterstützung. Es gab kein Geld, nicht einmal eine Schreibmaschine, nur eine baufällige Lagerhalle. »Einem Mann hätte man bestimmt einen Etat gegeben. Bei Frauen geht man davon aus, dass sie das auch so hinkriegen«, vermutet Schwester Lea. Sie lieferte den Beweis. In der Not, aus der Not helfen zu wollen, tat sie, was sie nie zuvor gemacht hatte: Sie schrieb 100 Briefe an Bekannte und erbat Spenden für Solwodi. Mit Erfolg. Sie wandte sich vor allem an ihre saarländische Heimatgemeinde Klarenthal. Von dort kam öfter Hilfe, aber bis dahin keine sozusagen erbettelte. Als ihre Mutter 1968 gemeinsam mit dem Pfarrer zur Feier ihrer Ewigen Profess nach Ruanda kam, brachte sie als Geschenk einen neuen VW-Käfer mit, für den die Klarenthaler gesammelt hatten: das erste Auto der Schule.
    Lea bereitete sich vor, indem sie vier Wochen lang Kisuaheli lernte. Mit Sprachkenntnissen würde sie Solwodi in Kenia besser an den Start bringen. Und weil sie Zivilkleidung trug, beugte sie dem gespaltenen Frauenbild von der Heiligen und der Hure vor und verschaffte sich rasch Zugang zu den Herzen der Frauen.
    Solwodi half der Nonne zudem aus einer persönlichen Krise, in die sie um ihr fünfzigstes Lebensjahr herum geraten war. »Mich durchfuhr, ich konnte ja niemals eigene Kinder bekommen, und empfand plötzlich ganz stark das Gefühl, etwas verpasst zu haben.« Das Menschenhandels-Projekt wuchs zu ihrem »Baby«, dem sie fast ihre ganze Energie und Zuwendung schenkte. Die Kenia-Initiative verwurzelte sich schnell. Als Lea 1987 nach Deutschland zurückgerufen wurde, gründete sie in München einen überkonfessionell und gemeinnützig ausgerichteten Solwodi-Verein, der ein
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