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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich
Autoren: Marlis Prinzing
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Bürgermeisterhaushalt, aufgewachsen. Sie sieht Kirche nicht nur als Zufluchtsort, sondern auch als gesellschaftliche Stimme jener, die sich so nicht selbst äußern können. Kirche müsse aktiv werden, wo die Würde des Menschen angetastet sei. Das könne bedeuten, diakonisch und seelsorgerisch aktiv zu werden, aber eben auch politisch.
    Alle sechs befassen sich mit vergleichbaren Fragen, haben aber verschiedene Zugänge. Zum Beispiel zum Machtbegriff. Kirsten Fehrs ist als Bischöfin eine exponierte Führungsperson, Notker Wolf als Abtprimas. Für sie ist Macht positiv besetzt, für ihn negativ. Der Abtprimas spricht lieber von Autorität. Wer eine Funktion übernimmt, erhalte damit oft spezielle Autorität. Er habe aber auch nie Autorität angestrebt, sondern sei einfach bereit, Verantwortung zu übernehmen, weil bestimmte Aufgaben eben gemacht werden müssen. Macht auszuüben widerspräche seinem Glaubensbild: »Mein Auftrag ist zu dienen.« Für die Bischöfin bedeutet Macht zu haben, dass ihr Funktionen und Aufgaben übertragen sind sowie eine Kraft geschenkt ist, die ihr ermöglicht, diese Aufgaben zu erfüllen und etwas gestalten zu können.
    Alle sechs sprechen klare Worte, keine verquasten Sätze. Sie sind weltzugewandt und nutzen die Medien bewusst, um breiten Öffentlichkeiten ihre Positionen nahezubringen. Notker Wolf ist nach Kilometern mit Abstand der am weitesten und häufigsten Reisende. Er ist fast unentwegt unterwegs in beinahe allen Ländern der Welt. Lea Ackermann hat vor allen Dingen Afrika im Blick und seit Längerem zunehmend auch osteuropäische Länder. Paulus Terwitte war viel auf Achse in Deutschland und Österreich. Kirsten Fehrs ist die Frau des Nordens, Friedrich Schorlemmer der Mann für Mitteldeutschland. Arnd Brummer stammt aus dem Süden Deutschlands, arbeitete lange in Hamburg, fühlt sich aber ganz besonders Italien verbunden.
    Alle sechs erzählen aus behüteten Kindheiten. Sie flohen nicht vor dem Leben, auch die drei unter ihnen nicht, die den Weg ins Kloster einschlugen. Und alle pflegen die Kultur: Tanzmusik verführt Lea, auch mal einen Vortrag einfach liegen zu lassen, rockige Klänge locken Notker an die Querflöte; er ist sicher der einzige Abtprimas, der eine eigene Band hat und mit »Deep Purple« auf der Bühne rockte. Kirsten Fehrs mag Jazz und Bach und singt auch gerne selbst. Arnd Brummer und Friedrich Schorlemmer tauchen mit Lust in Büchermeere ein, Paulus würde dem Predigernachwuchs am liebsten Opern, Theater- und Ausstellungsbesuche sowie die Lektüre von Gedichten und Romanen verordnen, wie sich selbst.
    Schließlich: Alle bieten vielfältige Argumente und Ideen, wie sich die beiden Volkskirchen, insbesondere in Deutschland, vitalisieren lassen und erneuern könnten. Sie überschreiten Grenzen, bauen Brücken, wecken Widerspruch – und packen zu, und dies in erster Linie für den Glauben. Mit den Worten von Paulus Terwitte: »Ich werbe für den Glauben, nicht für die Kirche.«
    Ich danke ganz herzlich meinen sechs Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, dass sie sich eingelassen haben auf diese Auseinandersetzung mit sich, mit ihrem Glauben und mit mir.
    Und ich danke meiner Agentin Suzanne de Roche von der Liepman Literary Agency Zürich sowie Claudia Lueg und Nicole Hackenberger vom Kösel-Verlag und ganz besonders meinem Mann, Roger Blum.
    Köln, im Januar 2012

PORTRÄT
    Die Ordensschwester, die nicht wegschaut
    »Um Gottes willen, Lea«, seufzte die Mutter, als ihre Tochter am 30. Mai 1960 mitteilte, sie habe soeben, zehn Minuten vor Feierabend, ihren Job als Bankkauffrau gekündigt und trete in den Orden »Unserer lieben Frau« ein. »Ich wollte das Evangelium leben, etwas von der Welt sehen und unterrichten«, erzählt Schwester Lea Ackermann, »zur Bank bin ich nur auf Vaters Rat.« Er war Bauunternehmer im Saarland, seine Frau half ihm bei der Buchhaltung. Sie erzogen ihre Tochter sehr religiös, ließen ihr aber auch viele Freiheiten und waren mächtig stolz, weil sie als Bankerin so gut war, dass sie sogar beim Aufbau einer Filiale in Paris helfen durfte. Und nun das. Die Mutter weinte, der Vater tröstete sich, sie würde schon nicht durchhalten.
    Ihr war anfangs in ihrer Ordensausbildung manchmal wirklich zum Davonlaufen. Sie empfand die Atmosphäre als kalt und unpersönlich, wurde nur »Schwester« gerufen, ohne Namen. Zwischen Klostermauern eingesperrt zu sein, war ihr fast unerträglich. Sie kniete, wie ihre Mitschwestern, stundenlang
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