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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter
Autoren: Barbara Bronnen
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ärmlich, und autoritär der Vater, mit dem sie, wie ihr Bruder Arnolt, heftige Konflikte austrug. Rebellisch wie sie war, flog sie aus der Schule, schaffte es aber, die Handelsschule abzuschließen. Ihr erster Chef zögerte lange, sie anzustellen – die rothaarige Ellida war zu attraktiv, und er sah die Arbeitsmoral im Büro gefährdet.
    Noch in hohem Alter sah sie beeindruckend gut aus, mit einem schmalen, zarten Körper, sie roch nach einem spritzigen Parfum, trug über ihrer markanten Nase und hohen Stirn einen kleinen, hellen Hut, unter dem weißblondes Haar hervorspitzte, eine cremefarbene Seidenbluse und ein beiges Kostüm über formvollendeten Waden und kleinem Stöckelschuh-Fuß. Sie war dezent geschminkt. Auffallend ranker Hals unter glattem Gesicht mit blitzblauen Augen, pinkfarbenem Mund und Rosenwangen. Warmer austriakischer Tonfall, melodischer Singsang, durchsetzt von Austrian-English.
    Sie heiratete 1923 im Alter von dreiundzwanzig Jahren den Juden Michael Adler, 1879 in Zabokreky in der Slowakei, nicht allzuweit von Nitra (Neutra) geboren, der 1944, als Ellida längst von ihm geschieden und ihr 1925 geborener Sohn Friedrich, Friedl genannt, neunzehn Jahre alt war, in einem deutschen Konzentrationslager in Jugoslawien elend zugrunde ging. Adler war Partner von Adler & Bettelheim und Vertreter und Einkäufer für das Warenhaus Gernegroß, das die Nazis ausraubten und zerstörten. Sie wohnte nach der Scheidung 1929 mit ihrem Sohn bei den Eltern in Wien in der Reithlegasse 12, verließ 1935 Österreich und ging als Gesellschaftsdame mit ihrer großen Liebe, einem vermögenden Industriellen aus
England, auf Weltreise, lebte dann mit ihm in Arizona. Nach seinem Selbstmord blieb sie in Amerika, arbeitete in Gaststätten und für große Firmen an den Rechenmaschinen. Sie heiratete abermals, Hans Fenichel, Emigrant, und sie heiratete noch ein drittes Mal, einen Pensionär, den sie beharrlich »Poor Norbert« nannte. Alle drei Männer waren Juden. Wobei sie lachte, daß es sie schüttelte, ein unvergeßliches, wildes Lachen. Dann wechselte sie wieder zu damenhaftem Charme.
    Ihr Sohn Friedl, heute nennt er sich Fred, mußte in St. Gallen zur Schule gehen, da er die Wiener Schulen nicht besuchen durfte. Er gelangte 1942 auf abenteuerlichen Wegen nach Amerika. Mittels der Quäker, Freunden seines Großvaters mütterlicherseits und der Reiseagentur Cook besorgte Ellida ihm die Papiere. Von Zürich aus fuhr er quer durch das von den Deutschen besetzte Frankreich, beschützt von seinem slowakischen Paß – die Slowakei war damals ein unabhängiger Staat –, über Spanien nach Lissabon und schiffte sich auf der Cavalho Arujo, dem Roten Pferd, einem alten Dampfer, nach den USA ein. Riesige Schiffe der portugiesischen Flagge begleiteten den Dampfer zu beiden Seiten und tasteten nachts mit ihren Scheinwerfern das Meer nach U-Booten ab. Nach einem Monat erreichte er schließlich New York, sparte, bis er das Geld fürs Studium beisammenhatte und schloß als Diplomingenieur ab.
    Fred war es auch, der mir einen ganzen Packen von Zeitungsausschnitten schickte, als er von meinem Vorhaben erfuhr – engagierte Leserbriefe Ellidas an die Los Angeles Times über die Diskriminierung der Schwarzen, den Mord an einem Friedensdemonstranten und über soziale Mißstände. Nach ihrer Pensionierung arbeitete sie als freiwillige Helferin in Kinderhospitälern und Rehabilitie
rungszentren und als Tutorin in Schulen und führte, von einer intellektuellen jüdischen Clique umgeben, ein ausgefülltes Leben.
    Nachrichten von Wiener Freunden beeinflußten ihr Deutschland- und Österreich-Bild. Ihr Fazit: nie wieder zurück. Sie machte aus ihrer Enttäuschung darüber, daß die Deutschen sich nicht gegen Hitler erhoben hatten, kein Hehl.
    Mit Selbstachtung kannte sie sich aus.
    Â»Tante Ellida« hatte meiner Schwester und mir in der Nachkriegszeit zu Weihnachten und an den Geburtstagen wilde Sachen geschickt, einen knallroten Dreiviertelmantel, Pullover mit Indianermuster oder genietete Hosen, Sachen, die im Linz der fünfziger Jahre einen zweideutigen Eindruck hinterließen. Eine willkommene Abwechslung, da unsere Mutter es liebte, uns einheitlich zu kleiden wie Zwillinge.
    Ellida stand zu ihrem Leben. Erinnerungen waren weniger ihre Sache – das war für sie Vergangenheit. Sie handelte lieber.
    Alles
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