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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß
Autoren: Othmar Franz Lang
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Appersons Rinder weideten dort, wohin die Yahi immer im Sommer gezogen waren, und fast schien es ihm, als zöge ein Schwall würziger Bergluft, der harzige Duft der Kiefern und der Geruch der vielen Blumen, die dort einst geblüht hatten, hinter dem abfahrenden Zug einher. Es war wieder Mai.
    Etwas später erkannte er, daß die beiden Appersons nützlich waren. Der mudjaupa, Watamany und Popy standen etwas hilflos mit ihrem umfangreichen Gepäck vor den Packmulis und wußten nicht recht, wie sie ihr Zeug an den Tieren befestigen sollten. Ihr Unverständnis machte die braven Tiere nervös. Und da Ishi selbst auch wenig von Pferden verstand und sie seinerzeit nur als das Wild der Weißen angesehen hatte, weil sie frei herumliefen, hielt er sich im Hintergrund und machte mit dem elfjährigen Saxton nur Handreichungen, bis er gesehen hatte, wie man die Mulis belud.
    Auf das Reitpferd zu steigen, war schon schlimmer, der Blick von oben hinunter irritierte ihn zunächst, aber mit jedem Schritt wurde er mit seinem Reittier vertrauter. Sein Pferd war ein kluges Tier, das offensichtlich begriff, daß es mit ihm besser dran war als jenes, das Professor Waterman zu schleppen hatte, der mit weitabgespreizten Beinen ziemlich hölzern im Sattel saß.
    Ein Glück, daß die Appersons sich um die Packpferde kümmerten, denn Ishis Freunde und er selbst waren genug damit beschäftigt, sich im Sattel zu halten.
    Es war ein Maitag im Jahr 1914. Das Laub an den Bäumen und Sträuchern war von frischem Grün, die Fichten hatten ihre hellgrünen Austriebe, wilde Bienen summten in der Luft, und Scharen von Faltern waren unterwegs.
    Der Deer Creek führte reichlich Wasser. Sein Rauschen begleitete die Expedition.
    Schlug Ishis Herz schneller? War es nicht das alte Rauschen geblieben? Konnte er seine bösen Erinnerungen verdrängen? Wowunupo mu tetna war zum Greifen nahe.
    Er war in eine schreckliche Zeit hineingeboren worden. In eine Zeit der Angst und des Gehetztseins. Wenn er je zurückdachte, versuchte, sich an sein erstes Erlebnis zu erinnern, dann war es diese seltsame Begebenheit, da ihm seine Mutter den Mund zuhielt und er nicht wußte, warum sie das tat und warum sie dabei so zitterte. Dar- ! an konnte er sich erinnern. Es war der längste Weg zurück. Heute konnte er sich das nur so erklären, daß seine Mutter sich vor Weißen versteckte und sie ihm den Mund zuhielt, damit er nicht sie und die anderen verrate. Die Weißen mußten damals sehr nahe gewesen sein, sonst hätte seine Mutter nicht gezittert.
    Heute bewegte er sich in seinem Land, wie er das nie in früheren Zeiten hätte wagen dürfen. Und wenn er den schwitzenden big chiep schimpfen hörte, daß das ein verdammt schmaler und beschwerlicher Weg sei, dann lächelte er nur. Der mudjaupa war nie die Pfade der Yahi gegangen, die kein Weißer erkannte.
    Wer hier mitreden wollte, mußte sie gegangen sein, mit bloßen Füßen, der mußte die Wanderung zu den Höhen des Waganupa mitgemacht und im Herbst die Vorratskörbe zurückgeschleppt haben, vier, fünf lange Tage.
    Im undurchdringlichen Dickicht hatten sie sich zusammengedrückt, in fast unzugänglichen Höhlen in den Canons, bis sie wieder in ihrem Winterdorf waren. Sie und ihre Vorratskörbe. Und schon am nächsten Tag hatten sie die Vorräte im Umkreis versteckt, in die Bäume gehängt, unter Steine gelegt, vergraben, wie die Eichhörnchen.
    Mittags machten sie heute nur eine kurze Rast im Schatten von ein paar Eichen. Seinen Eichen.
    »Na, was sagst du?« fragte der big chiep. Und Ishi lächelte. Was sollte er sagen?
    »Wie gefällt es dir in deiner Heimat?« fragte Popy und musterte gespannt Ishis Gesicht.
    »Was ist >meine Heimat    »Na, ganz einfach, dein Zuhause.«
    »Mein Zuhause ist im Museum«, sagte er und sah zu Watamany hinüber, der sich die Beine vertrat und verzweifelt Kroeber fragte: »Meinen Sie, ich werde je wieder in der Lage sein, einen Fuß neben den anderen zu stellen?«
    Dort, wo der Sulphur Creek in den Deer Creek einmündet, eine Stelle, die Ishi gut kannte, fanden sie eine Lichtung, etwa 1200 Quadratmeter groß. Hier wollten sie ihr Basislager errichten. Der Platz war geradezu ideal. Sie hatten Sonne und Schatten, das Wasser lief ihnen sozusagen in die Hand, und der Boden war trocken.
    Mühsam rutschten Popy und Waterman aus dem Sattel, standen eine Weile mit gegrätschten Beinen und sprachen von ihrem Kreuz. Kroeber ging stocksteif auf und ab, als hätte er das lange nicht
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