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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde
Autoren: Andreas Salcher
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Übungen, Gesänge und Gebete wie in vielen Mönchsorden sein, Rituale, wie sie in den alten Mysterienbünden üblich sind, oder auch nur der Gebrauch einer Sanduhr.
    Das „Memento mori“, übersetzt „Gedenke zu sterben“, ist für die Benediktiner eine ihrer wichtigsten Regeln, weil sie ihnen jeden Tag den eigenen Tod in Erinnerung ruft. Dabei geht es primär nicht darum, an seinen körperlichen Tod zu denken, sondern es ist ein Weckruf, jeden Tag bewusst zu leben und jeden einzelnen Augenblick seines Lebens vor dem Horizont der eigenen Sterblichkeit zu sehen. Das heißt für die Benediktiner, jeder Tätigkeit genau die volle Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdient, dem Beten genauso wie dem Staubwischen, dem Essen ebenso wie dem Spazierengehen durch den Klostergarten. Denn die große Weisheit, die in dem „Gedenke zu sterben“ steckt, hat sehr wenig mit unserem Tod, sondern sehr viel mit unserem Leben zu tun. Wir dürfen nie aufhören, uns zu fragen, weshalb wir hier sind, was wir mit unserem Leben Sinnvolles bewirken wollen und mit wem wir das tun wollen.
    Erst dieses Verständnis des Todes fordert uns ständig heraus, jeden Funken unseres Lebens möglichst intensiv auszukosten. Die Bedeutung des „Memento mori“ findet sich in fast allen unterschiedlichen spirituellen Traditionen. Dieser Mahnruf war bereits in der Antike gebräuchlich. Wenn wir uns auch nur wenig aus dem Geschichtsunterricht gemerkt haben, dann wahrscheinlich das Bild, dass im alten Rom hinter jedem siegreichen Feldherrn bei dessen Triumphzug ein Sklave stand, ihm einen Lorbeerkranz über den Kopf hielt und den Triumphator ununterbrochen mit den Worten mahnte: „Bedenke, dass du sterblich bist!“
    In vielen Initiationslehren sollen die Uneingeweihten nicht nur mit Worten, sondern auch mit Ritualen in ihrem Innersten unauslöschlich mit der Tatsache ihrer Sterblichkeit konfrontiert werden. Ein besonderer Mythos rankt sich seit Jahrhunderten um die Macht und das Geheimnis der Freimaurer. Auf alten Darstellungen kann man Kandidaten mit verbundenen Augen und eindeutige Symbole der Vergänglichkeit wie den Totenkopf erkennen. Ein Drittel der US-Präsidenten gehörte so wie George Washington dem Bund an. 53 von den 56 Unterzeichnern der US-Unabhängigkeitserklärung waren Freimaurer. Der berühmteste Freimaurer, Wolfgang A. Mozart, hat vor allem in die „Zauberflöte“ Themen und Persönlichkeiten aus der Freimaurerei verpackt.
    Rüdiger Templin ist Großmeister der Vereinigten Großlogen von Deutschland. Und er ist als Arzt, der 35 Jahre lang selbst Organe von Spendern entnommen und transplantiert hat, mit der Grenzzone des Lebens auch beruflich sehr vertraut. „Was können wir von den Freimaurern über den Umgang mit dem Tod lernen?“, frage ich ihn. [1]
    „Bei den Freimaurern ist die ständige Auseinandersetzung mit dem Leben und auch mit dem Ende des Lebens ein Teil unserer rituellen Arbeit. Das unterscheidet den Freimaurer vom Profanen, der den Tod ständig verdrängt und als ein in weiter Ferne liegendes Ereignis wegschieben kann. Der Freimaurer ist einem Prozess ausgesetzt, der ihm die Risiken, aber auch die Chancen des Lebens bewusster macht.“ Das Geheimnis der Freimaurer liegt offenkundig in ihren Ritualen. Was diese sind, verrät mir der Großmeister leider nicht.
    Möglicherweise wurzelt die Bedeutung der Freimaurer in dieser rituellen Auseinandersetzung mit dem Tod.
    Es bedarf aber keiner Mitgliedschaft in einem Mönchsorden oder Geheimbund. Eine einfache Kerze, die wir einmal am Tag bewusst anzünden, erfüllt genauso den Zweck. Es gibt den schönen Brauch, einmal im Jahr am Allerseelentag eine Kerze anzuzünden, um der Toten zu gedenken. Wäre es nicht ebenso wichtig, täglich eine Kerze anzuzünden, um auch nur eine Minute der Einzigartigkeit seines eigenen Lebens zu gedenken? Jedem Menschen steht die für ihn wichtigste Erkenntnis offen: Ohne den Tod könnten wir nicht erkennen, wie kostbar unser Leben ist.
    Der kleine Tod
    Jeden Abend, wenn wir uns im Bett zum Schlafen niederlegen, müssen wir, um einschlafen zu können, unseren Körper aufgeben, bereit sein, uns komplett fallen zu lassen. Jeder Schlaf ist ein kleiner Tod. Solange das Körperbewusstsein da ist, weil wir zum Beispiel schlecht liegen oder Schmerzen haben, können wir nicht einschlafen. Wenn wir dann durch die Erschöpfung einschlafen, ist das wie der Tod, der uns nimmt, und wir sind einfach weg. Die Fähigkeit, Körper und Seele trennen zu können,
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