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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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alles ankommt. Ihre ganz südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts andres als eine beneidenswerte Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebensführung tief empören zu können, und ich muß es als ein großes Unglück ansehen, daß diese mir jetzt klar zutage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Wert und Recht nie ganz erkannt wurden. Ich werde in weiterem vieles zu berichten haben, das diese Worte bestätigt.
    Das schon erwähnte Pensionat, in das meine Mutter, achtzehn Jahre alt, eintrat, war das der Madam Lionnet, und unter den verschiedenen Freundinnen, die sie hier fand, stand Louise Rogée obenan, damals schon eine sehr beliebte, fast gefeierte Schauspielerin, aber, wie's scheint, in der Pension verblieben. Eines Tages hieß es, Louise Rogée habe sich verlobt, und zwar mit einem jungen Architekten, dem ältesten Sohne des Kabinettssekretärs Pierre Barthélemy Fontane. Die Nachricht bestätigte sich, und auf einem der gelegentlichen Besuche, die Louise Rogée, jedesmal von einer Pensionsfreundin begleitet, im Hause ihres künftigen Schwiegervaters machte, lernte meine Mutter den
zweiten
Sohn Pierre Barthélemys kennen – meinen Vater. Man fand rasch Gefallen aneinander, und da die Verhältnisse glücklich lagen, kam es sehr bald zur Verlobung, und das Haus meines Großvaters sah auf kurze Zeit zwei Brautpaare unter seinem Dache 1 .
    Der Verlobung meines Vaters folgte das Staatsexamen, damals nicht viel mehr als eine Form, und an das glücklich bestandene Examen schloß sich, beinah unmittelbar, der Ankauf der Neuruppiner Apotheke.
    Am 24. März, dem Geburtstage meines Vaters, war Hochzeit, und drei Tage später traf das junge Paar in seiner neuen Heimat ein.
     
Zweites Kapitel
     
Gascogne und Cevennen – Französische Vettern – unsre Ruppiner Tage
    In ihrer Ruppiner Apotheke verlebten meine Eltern die ersten sieben Jahre ihrer Ehe, vorwiegend glückliche Jahre, trotzdem sich schon damals
das
zeigte, was dieses Glück früher oder später gefährden mußte. Von diesen sieben Jahren werde ich hier zu berichten haben; aber ehe ich zu Darstellung des wenigen übergehe, was ich aus jener Zeit noch weiß, möchte ich, wozu mir das vorige Kapitel nicht Gelegenheit bot, hier noch einiges über den französischen Ursprung meiner Eltern, über ihre Heimat und Abstammung sagen dürfen.
    Nicht weit von der Rhonemündung, auf dem etwa zwischen Toulouse und Montpellier gelegenen Gebiet, stoßen von Westen her die Vorlande der Gascogne, von Norden und Osten her die Ausläufer der Cevennen zusammen, und auf diesem verhältnismäßig kleinen Stück Erde, wahrscheinlich im jetzigen Departement Hérault oder doch an seiner Peripherie, waren meine Vorfahren, väterlicher- wie mütterlicherseits, zu Hause. Nächste Nachbarn also. Weil sich indessen auf diesem engen Raume zwei grundverschiedene Volksstämme berühren, so darf es nicht sonderlich überraschen, daß »mes ancêtres«, trotz räumlicher Nachbarschaft, dieser Stammesverschiedenheit entsprachen, eine Verschiedenheit, die, völlig unbeeinflußt durch die inzwischen erfolgte Verpflanzung ins Brandenburgische, sich auch noch in meinen Eltern zeigte: Mein Vater war ein großer stattlicher Gascogner voll Bonhomie, dabei Phantast und Humorist, Plauderer und Geschichtenerzähler, und als solcher, wenn ihm am wohlsten war, kleinen Gasconnaden nicht abhold; meine Mutter andrerseits war ein Kind der südlichen Cevennen, eine schlanke, zierliche Frau von schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch, selbstsuchtslos und ganz Charakter, aber, wie schon in dem Einleitungskapitel erzählt, von so großer Leidenschaftlichkeit, daß mein Vater halb ernst-, halb scherzhaft von ihr zu sagen liebte: »Wäre sie im Lande geblieben, so tobten die Cevennenkriege noch.«
    Dies paßte jedoch, wie gleich hier bemerkt werden mag, nur ganz allgemein auf ihr leidenschaftliches Temperament, nicht etwa auf ihren Religionseifer. Von diesem hatte sie keine Spur, war vielmehr eminent ein Kind der Aufklärungszeit, in der sie geboren, trotzdem sie, weil sie das Genfertum für vornehmer hielt, mit einem gewissen Nachdruck versicherte: »Wir sind reformiert.«
    Gascogne und Cevennen lagen für meine Eltern, als sie geboren wurden, schon um mehr als hundert Jahre zurück, aber die Beziehungen zu Frankreich hatten beide, wenn nicht in ihrem
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