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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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Herzen, so doch in ihrer Phantasie, nie ganz aufgegeben. Sie repräsentierten noch den unverfälschten Kolonistenstolz. Weil sie aber stark empfinden mochten, daß mit ihren nachweisbaren Ahnen, die bei den Fontanes als Zinngießer, potiers d'étain, bei den Labrys als Strumpfwirker, faiseurs de bas, feststanden, nicht viel Staat zu machen sei, so ließen sie die amtlich geführte kolonistische Stammtafel fallen und suchten statt dessen auf gut Glück nach vornehmen französischen Vetterschaften, also nach einem wirklichen oder eingebildeten Familienanhang, der, in der alten Heimat zurückgeblieben, sich mittlerweile zu Ruhm und Ansehn emporgearbeitet hatte.
    Mein Vater hatte es darin leichter als meine Mutter, weil er wenigstens innerhalb seines Namens bleiben konnte. Zu Paris lebte nämlich, bis in die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, Louis de Fontanes, seinerzeit Großmeister der Universität und Unterrichtsminister, der unter Napoleon bei den verschiedensten feierlichen Gelegenheiten immer die großen Kasualreden gehalten hatte, ein sehr kluger, sehr feiner, sehr vornehmer Herr, dessen Familie, wie man in allen Büchern nachlesen konnte, wirklich im südlichen Frankreich, wenn auch nicht zwischen Toulouse und Montpellier, zu Hause war. Dieser wurde nun ohne weiteres als Vetter erklärt, wobei der Umstand, daß er sich mit einem »s« schrieb, als besondrer und ausschlaggebender Beweis der Familienzugehörigkeit angesehen wurde. Unsre Familie wußte nämlich aus Tradition, daß auch mein Großvater, der Kabinettssekretär der Königin, sich bis etwa zu Beginn des Jahrhunderts »Fontanes« geschrieben und dann erst, aus unaufgeklärtem Grunde, das »s« weggelassen habe. Diese Tradition wurde durch allerhand Schriftstücke bestätigt, mein Vater aber ging weiter und nahm, weil es ihm so paßte, den durch die Schriftstücke geführten Beweis des Nebensächlichen zugleich als Beweis für die Hauptsache, mit andern Worten, die bewiesene
Namens
vetterschaft als bewiesene
Bluts
verwandtschaft. Was übrigens als ein glänzender Coup gelten konnte. Denn hätten wir noch »Fontanes« geheißen, wodurch wir dem Großmeister, wenn auch nicht um viel, so doch immerhin um ein »s« nähergekommen wären, so wäre der den Rest der Sache mit einschmuggelnde Nebenbeweis von vornherein weggefallen 2 .
    Daß mein Vater solche Phantasiebeziehungen pflegte, durfte nicht wundernehmen; er war, wie schon oben kurz angedeutet, durch sein ganzes Leben hin der Typus eines humoristischen Visionärs und erging sich gern in mitunter grotesken Ausmalungen, über die er dann auch wieder zu lachen verstand. Aber daß meine ganz auf Verständigkeit und beinah Nüchternheit gestellte Mutter ihm in allem, was altfranzösische Verwandtschaft anging, nicht bloß nacheiferte, sondern ihn darin womöglich noch übertrumpfte, das durfte füglich überraschen. Es war das einer jener halb rätselhaften Widersprüche, wie sie sich in jeder Menschennatur vorfinden. Indessen, worin immer auch der Grund gesucht und gefunden werden möge, Tatsache bleibt es, daß sich meine Mutter – die, wenn
dies
Thema zur Verhandlung kam, selbst den sonst so gefeierten »Onkel Mumme« fallen ließ – für ganz nahe verwandt mit dem Kardinal Fesch hielt, der bis zur Wiederherstellung des bourbonischen Königstums Erzbischof von Lyon war. Kardinal Fesch, geboren zu Ajaccio und erst 1839 in Rom gestorben, war der Stiefbruder der Lätitia Bonaparte, also nicht mehr und nicht weniger als der Onkel Napoleons, durch dessen Beistand er denn auch seine große Laufbahn machte. Mit Hilfe welcher Überlieferung es meiner Mutter gelungen war, diese vornehme Verwandtschaft festzustellen, habe ich nie in Erfahrung gebracht; ich weiß nur, daß es ein Schauspiel für Götter war, wenn wir, selbst noch in späteren Lebensjahren, beide Eltern, wie auf den meisten andern Gebieten, so auch auf diesem, sich mehr oder weniger ernsthaft befehden sahen, gewöhnlich unter voraufgehender Feststellung der Rangverhältnisse zwischen einem Großmeister der Universität und einem Kardinal-Erzbischof. Daß wir Kinder dem allem sehr kritisch gegenüberstanden, braucht nicht erst versichert zu werden.
     
    Ich fahre nun in meiner eigentlichen Erzählung fort.
    Am 27. März 1819 waren meine Eltern in Ruppin eingetroffen, am 30. Dezember selbigen Jahres wurde ich daselbst geboren. Es war für meine Mutter auf Leben und Sterben, weshalb sie, wenn man ihr vorwarf, sie bevorzuge mich, einfach antwortete:
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