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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition
Autoren: M Twain
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bewirken. Versuchen Sie die ersten paar Seiten. Bei Ihren Büchern habe ich es viel weiter gebracht, also sind Sie mir etwas schuldig – sagen wir zehn Seiten. Falls Sie das Buch nach diesem Versuch beiseitelegen, sollte es mir leidtun – Ihretwegen!
    Ich fürchte, das alles klingt respektlos – aber stellen Sie sich die Zuckungen in der Seele eines Menschen vor, der Ihnen ein ungebetenes Buch, von ihm selbst geschrieben, bringt. Einem solchen gegenüber ist viel Nachsicht vonnöten. Werden Sie das bedenken? Haben Sie die ersten Zuckungen Ihrer eigenen Seele bereits vergessen?
     
    Das Wappen der Menschheit sollte aus einem Mann bestehen, der eine Axt auf der Schulter trägt und zu einem Schleifstein geht. 36 Oder es sollte mehrere Mitglieder der Menschheit darstellen, die einander den Hut hinhalten. Denn wir alle sind Bettler. Jeder auf seine Weise. Der eine Bettler ist zu stolz, als dass er um Pennys bettelt, aber er wird um ein Dollar-Darlehen betteln in dem Wissen, dass er es nicht zurückzahlen kann; ein anderer bettelt nichtum ein Darlehen, sondern um eine Stelle als Postmeister; ein anderer bettelt nicht darum, sondern um eine Einführung in die »Gesellschaft«; einer, der reich ist, wird die Eisenbahngesellschaft nicht um einen Eimer Kohlen anbetteln, dafür aber um eine Fahrkarte; sein Nachbar wird weder Kohlen noch eine Fahrkarte erbetteln, jedoch in einem privaten Gespräch mit einem Anwalt diesem einen hypothetischen Fall vorlegen in der Hoffnung, ihm eine unentgeltliche Meinung zu entlocken; einer, der es verschmähen würde, um irgendetwas dieser Art zu betteln, wird unverhohlen um das Amt des Präsidenten betteln. Keiner von diesen schämt sich seiner selbst, sondern verachtet alle übrigen Bettler. Jeder bewundert die eigene Würde und sucht sie sorgsam zu bewahren, nur die anderen haben keine, seiner Meinung nach.
    Zweifellos ist Bettelei eine Sache des Geschmacks und des Temperaments, dennoch ist kein menschliches Wesen frei von jeglicher Art der Bettelei. Ich kenne meine Art, Sie kennen Ihre; senken wir gnädig den Vorhang darüber und treiben Schindluder mit anderen. Zu jedem von uns kommt dann und wann ein Mensch, der Hintergedanken verfolgt, der »eine Axt zu schleifen hat«. Unter anderem auch zu Ihnen, geneigter Leser. Irgendwann wird Ihnen der Anblick der Axt vertraut sein – falls Sie der Besitzer des Schleifsteins sind –, und sobald Sie sie erblicken, merken Sie, dass es dieselbe alte Axt ist; dann rollen Sie sich zusammen und richten Ihre Stacheln auf. Wenn Sie der Gouverneur sind, wissen Sie, dass der Fremde eine Stellung wünscht. Die ersten sechs Mal haben Sie sich von der Axt noch täuschen lassen – danach fühlen Sie sich gedemütigt. Der Träger der Axt hat Sie und Ihre politischen Leistungen so mit Lob überhäuft, dass Ihre Lippen zitterten, Feuchtigkeit Ihre Augen trübte, Ihnen ein Kloß in der Kehle steckte und Sie dankbar waren, ein solches Glück noch erleben zu dürfen; dann holt der Fremde seine Axt hervor, er offenbart seine eigentlichen Beweggründe für sein Kommen und sein Applaudieren, und Sie schämen sich für sich und die Menschheit, da Sie merken, dass diese Person, die Sie so gastfreundlich aufgenommen haben, Sie gröblichst beleidigt. Sechs solche Vorkommnisse werden Sie mit Sicherheit kurieren. Danach werden Sie (falls Sie nicht zur Wiederwahl antreten) die Komplimente unterbrechen und sagen:
    »Ja, ja, schon recht, lassen Sie’s gut sein; kommen Sie zur Sache – was wollen Sie?«
    Ganz gleich, wie groß oder klein Ihr Platz im Leben ist, Sie besitzen einen Schleifstein, und die Leute werden Ihnen Äxte bringen. Dem entgeht niemand.
    Außerdem halten Sie es selbst ja genauso. Innerlich zürnen Sie über den Mann, der Ihnen seine Axt bringt, aber von Zeit zu Zeit tragen Sie Ihre eigene Axt zu einem anderen und bitten ihn, sie zu schleifen. Zu Fremden trage ich meine nicht, da ziehe ich eine Grenze; Sie vielleicht auch. Das wird uns auf eine hohe und heilige Zinne setzen, von der wir mit kaltem Tadel auf jene Menschen herabblicken, die ihre Äxte zu Fremden tragen.
    Nun denn, da wir alle Äxte tragen und tragen müssen und es nicht lassen können, weshalb hat nicht ein weiser und umsichtiger Mensch eine bessere Methode erdacht? Dafür kann es nur einen Grund geben: Seit Anbeginn der Zeit hat zwar jedes Mitglied der Menschheit voll Scham und ärgerlicher Missbilligung erkannt, dass jeder andere ein Axtträger und ein Bettler ist, sich jedoch dem
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