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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege
Autoren: Marina Mander
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komplizierte Sache, besonders am frühen Morgen. Vielleicht ist es nicht wichtig. Also lächle ich und mache die Fliege. Wenigstens hab ich nicht gelogen.
    In der Schule alles normal. Alle bereit, dem Unterricht zu folgen, trotz der Spuren vom Kissen im Gesicht, dem Schlaf in den Augen, einem mit Mühe unterdrückten Gähnen. Der Vormittag vergeht wie üblich, ich verbringe wie üblich die Zeit damit, mir nur für mich selbst Geschichten auszudenken. Gegen Mittag fängt mein Magen an zu knurren, weil er genervt ist und nicht mehr kann. Zum Glück geht’s nicht mehr lang. Als ich aus der Schule komme, tu ich so, als hätte ich es eilig, frage einen Typ, der da steht und wartet, wie spät es ist.
    Â»Viertel nach eins.«
    Ich lächele wohlerzogen.
    Â»Warten Sie auf jemanden?«
    Â»Ja, auf meinen Sohn, er heißt Giovanni, kennst du ihn? Vielleicht ist er bei dir in der Klasse.«
    Â»Nein, wir haben Matteos, Andreas, Deborahs und Samanthas mit H , aber keinen einzigen Giovanni.«
    Â»Willst du mitfahren?«
    Â»Nein, entschuldigen Sie, ich muss jetzt wirklich los.«
    Auch nur so zu tun, als hättest du es eilig, macht den Eindruck, dass du wichtig bist. Auf dich wartet doch kein Schwein, warum rennst du da schnell heim?
    Die Blumenfrau taucht aus ihrer Bruchbude auf, die wie ein Wachhäuschen an der Ecke steht. Sie ist hässlich und riecht nach Blumenstängeln, die zu lange im Wasser der rostigen Metallvasen gestanden haben, die aussehen wie die Vasen auf dem Grab von meinem Opa.
    Â»Du bist ja tüchtig, gehst jetzt schon allein nach Hause, du bist wirklich ein tüchtiger kleiner Mann.«
    Warum ist sie nicht still? Und kleiner Mann als Ausdruck finde ich eklig.
    Und die Blumenfrau auch.
    Â»Was hast du nur gegen die Blumenfrau?«
    Â»Sie hat die Gans gegessen.«
    Â»Immer noch wegen der Gans? Ach komm, denk nicht mehr dran.«
    Mama und ich hatten auf der Kirmes bunte Ringe auf Flaschenhälse geworfen, die sich auf einer Art Karussell drehten, und ein junges Gänschen gewonnen. Wir hatten es eine Weile in der Wohnung gehalten, dann war aus dem jungen Gänschen eine Gans geworden, und Mama hatte sie der Blumenfrau gegeben, damit die sie bei sich zu Hause auf dem Land hielt.
    Â»Du wirst sehen, dass die Gans es an der frischen Luft viel besser hat.«
    Der Aufzug ist kaputt, oder der Alte hat die Türen offen gelassen und ihn im vierten Stock blockiert, das macht er oft, Mama sagt, er ist nicht klar im Kopf, manchmal sagt sie:
    Â»Armer Kerl.«
    Manchmal sagt sie:
    Â»Dieser Depp.«
    Hängt davon ab, wie sie gerade drauf ist. Wenn sie Einkaufstaschen oder Mineralwasserflaschen in der Hand hat, ist sie meist für Depp drauf.
    Ich gehe die Treppen hoch. Sieben Stockwerke, zweihundertvierundfünfzig Stufen. Ich zähle sie jedes Mal. Auf der einhundertsechsundsechzigsten bleibe ich stehen. Auf dich wartet doch kein Schwein, warum rennst du doch schnell heim? Mama liegt bestimmt noch im Bett, völlig fertig. Ich beginne wieder, die Treppe hochzusteigen, nehme immer zwei Stufen, gerade Zahlen, mit dem rechten Fuß, wenn ich es schaffe, nicht den falschen Fuß zu nehmen, geht es Mama bestimmt gut. Ich höre Blu hinter der Tür miauen, das macht er immer, wenn er mich kommen hört, er freut sich, wenn ich komme.
    Mama und Blu kommen mir entgegen.
    Keine Mama, nur Blu ist da.
    Die Wohnung sieht dunkel aus. Ich gehe den Flur entlang, der kein Ende zu nehmen scheint, höre das dumpfe Geräusch meiner Schritte auf dem Teppich, gehe vorbei an der Reihe gerahmter Zeichnungen von alten Schiffen, die an der Wand hängen und auf einem Meer aus welligem Papier fahren, die Andrea Doria als Letzte, und dann in Mamas Schlafzimmer, und da hat sich nichts geändert.
    Es ist alles gleich wie heute Morgen, es ist alles regungslos.
    Das Zimmer ist in ein düsteres Winterhalbdunkel mit schlappen Vorhängen gehüllt. Mama ist in die Decken gewickelt. Sie hat ihre Lage nicht verändert. War sie zusammengekauert?
    Was soll ich tun?
    Ich ziehe ihre Decken zurecht, sie schläft zusammengerollt, vielleicht friert sie.
    Ich frage sie, ob sie irgendetwas will.
    Â»Mama, frierst du? Weißt du, draußen ist es sehr kalt.«
    Sie antwortet nicht.
    Â»Ach komm, antworte doch, warum antwortest du denn nicht?«
    Ich versuche sie zu schütteln, doch sie reagiert nicht.
    Ich habe nicht erwartet, dass sie es tut, sie scheint
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