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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
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kontrollierten |44| Sucht dastehen, enttarnt er als Lügner. Sie gehen heimlich aufs Klo, und die Heimlichraucher sind ohnehin die Schlimmsten. Da die Nikotinabhängigkeit gar nicht das Problem darstelle, sei es unsinnig, von dieser Seite her zu operieren. Die Verzichtsleistung besteht nicht im Weglassen des Nikotins, sondern in der Bearbeitung der psychologischen Gestalt, die die Zigarette hält und an den Mund führt. Aber selbst einfach und abrupt aufhören, Carr nennt das die Methode Willenskraft, ist letztlich der falsche Weg.
    Allen Carr ist der gute Ratgeber, aber irgendwann hilft die sanfte Tour nicht weiter. Dann müssen auch zur Bewältigung der vermeintlich geschmeidigen Tour, »der einfache Weg, mit dem Rauchen Schluss zu machen«, feste Regeln her. Im Buch sind sie eigens dafür fett gedruckt: »Was Sie auch vorhaben, verfallen Sie nicht in den Fehler, zu sagen: ›Jetzt nicht. Später‹, und die Sache zu verdrängen. Stellen Sie jetzt Ihren Zeitplan auf und freuen sich darauf.« Nicht verdrängen. Gute Idee. Nicht aufschieben. Auf solche Tipps haben die Willensschwäche-Addicts schon lange gewartet. Allen Carr schließt seinen Ratgeber denn auch nicht, ohne am Ende gesellschaftskritisch zu werden. »Ich halte das Rauchen für den größten Skandal in der westlichen Gesellschaft, Atomwaffen eingeschlossen.«
    Warum eigentlich nur der westlichen Gesellschaft?
    Während viele der rauschhaften Genussstoffe aus dem Orient gen Westen kamen und wiederholt entscheidenden Einfluss auf das Gesellschaftsleben hatten, kam der Tabak tatsächlich aus westlicher Himmelsrichtung. 1627 weiß der kurpfälzische Gesandte Johann Joachim von Rusdorff von einer seltsamen Eigenheit zu berichten, die er in den Niederlanden beobachtet hatte. »Ich kann nicht umhin, mit einigen Worten jene neue, erstaunliche und vor wenigen Jahren aus Amerika nach Europa eingeführte Mode zu tadeln, welche man eine Sauferei des Nebels nennen kann, die alle alte und neue Trinkleidenschaft übertrifft. |45| Wüste Menschen pflegen nämlich den Rauch von einer Pflanze, die sie Nikotina oder Tabak nennen, mit unglaublicher Begierde und unauslöschlichem Eifer zu trinken und einzuschlürfen.« 3 Das große Erstaunen ist der sonderbaren Einnahmeform des fremden Stoffes zuzuschreiben. Während die meisten aus fernen Welten stammenden Genussstoffe wie Kakao, Tee oder Kaffee getrunken wurden, stellt das Rauchen aus anthropologischer Sicht einen Sonderfall dar. 1658 veröffentlicht der jesuitische Prediger Jakob Balde eine Satire gegen das Rauchen und spricht von der »trockenen Trunkenheit«.
    Der Kulturwissenschaftler Wolfgang Schivelbusch sieht in dem Ausdruck jedoch weit mehr als nur einen metaphorischen Versuch, das Phänomen der Rauchaufnahme zu beschreiben. Die Medizin des 17. und 18. Jahrhunderts sah bereits den Kaffee als einen trockenen Stoff, dessen Haupteigenschaft es sei, die Körpersäfte des Menschen auszutrocknen. »Ganz ähnlich«, so Schivelbusch, »sieht die Medizin des 17. und 18. Jahrhunderts die Wirkungen des Tabaks. Die Ähnlichkeiten gehen bis hinein in die Formulierungen. Wie der Kaffee so trockne auch der Tabak insbesondere einen Körpersaft aus, den Schleim. (...) Wie beim Kaffee, so wird auch beim Tabak diese trocknend-entschleimende Wirkung je nach der weltanschaulichen Position des Autors positiv oder negativ gesehen, und wie in der Auseinandersetzung um den Kaffee verläuft die Frontlinie zwischen dem bürgerlich-fortschrittlichen Bewusstsein, das in der antierotischen Trockenlegung die wahre Gesundheit (sprich: Produktivität) des Körpers sieht, und der konservativen Anschauung, die in der manipulativen Störung des Säftegleichgewichts die Zerstörung des Körpers (sprich: die überlieferten Verhältnisse) befürchtet.«
    Bemerkenswert ist, dass das Rauchen über viele Jahrzehnte trotz der von Beginn an vorhandenen Befürchtungen eher positiv konnotiert war. »Einer der studiert«, zitiert Schivelbusch den holländischen Arzt Beintema von Palma »muss notwendig viel |46| Tabak rauchen, damit die Geister nicht verloren gehen, oder da sie anfangen zu langsam umzulaufen, weshalb der Verstand, sonderlich schwere Sachen nicht wohl fasst, wieder mögen erweckt werden, worauf alles klar und deutlich dem Geiste überliefert wird, und er wohl überlegen und beurteilen kann.«
    König Friedrich I. in Preußen ließ so genannte Tabakskollegien abhalten, die er aus den Niederlanden übernommen hatte in der Annahme, »dass der
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