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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern
Autoren: Lisa Genova
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falsche Entscheidung getroffen.«
    Alice hörte mit dem Zusammenlegen auf und sah die Frau an. Sie war jung, mager und hübsch. Und sie war erschöpft und innerlich zerrissen.
    »Wie alt bist du?«, fragte Alice.
    »Vierundzwanzig.«
    »Vierundzwanzig. Ich fand es toll, vierundzwanzig zu sein. Man hat das ganze Leben noch vor sich. Alles ist möglich. Bist du verheiratet?«
    Die hübsche, innerlich zerrissene Frau hörte mit dem Zusammenlegen auf und sah Alice genau an. Ihr Blick verharrte auf Alice’ Augen. Die hübsche, innerlich zerrissene Frau hatte forschende, aufrichtige erdnussbutterbraune Augen.
    »Nein, ich bin nicht verheiratet.«
    »Kinder?«
    »Nein.«
    »Dann solltest du genau das tun, was du willst.«
    »Aber was, wenn Dad beschließt, diesen Job in New York anzunehmen?«
    »Du kannst eine solche Entscheidung nicht davon abhängig machen, was andere Leute tun oder vielleicht nicht tun. Es ist deine Entscheidung, deine Ausbildung. Du bist eine erwachsene Frau, du musst nicht tun, was dein Vater will. Mach es davon abhängig, was für dein eigenes Leben richtig ist.«
    »Okay, das werde ich. Danke.«
    Die hübsche Frau mit den entzückenden erdnussbutterbraunen Augen lachte und seufzte amüsiert und begann wieder mit dem Zusammenlegen.
    »Wir beide haben es weit gebracht, Mom.«
    Alice verstand nicht, was sie meinte.
    »Weißt du, du erinnerst mich an meine Studenten. Ich war früher Studentenberaterin. Darin war ich ziemlich gut.«
    »Ja, das warst du. Das bist du noch immer.«
    »Wie heißt die Uni, auf die du gehen willst?«
    »Brandeis.«
    »Wo ist das?«
    »In Waltham, nur ein paar Minuten von hier.«
    »Und was wirst du studieren?«
    »Schauspiel.«
    »Das ist ja wunderbar. Wirst du in Stücken auftreten?«
    »Das werde ich.«
    »Shakespeare?«
    »Ja.«
    »Ich liebe Shakespeare, vor allem die Tragödien.«
    »Ich auch.«
    Die hübsche Frau rückte etwas näher an Alice heran und umarmte sie. Sie roch frisch und sauber, wie Seife. Ihre Umarmung durchdrang Alice ungefähr so wie ihre erdnussbutterbraunen Augen. Alice fühlte sich glücklich und der jungen Frau ganz nah.
    »Mom, bitte zieh nicht nach New York.«
    »New York? Sei nicht albern. Ich lebe hier. Warum sollte ich denn nach New York ziehen?«

    »Ich weiß nicht, wie du das schaffst«, sagte die Schauspielerin. »Ich war fast die ganze Nacht mit ihr wach, und ich bin völlig erledigt. Um drei Uhr morgens habe ich ihr Rühreier mit Toast und Tee gemacht.«
    »Da war ich auch wach. Wenn wir dich dazu bringen könnten, Milch zu geben, könntest du mir helfen, eines von diesen beiden Kleinen zu stillen«, sagte die Mutter der Babys.
    Die Mutter saß neben der Schauspielerin auf der Couch und stillte das Baby in Blau. Alice hielt das Baby in Rosa. John kam herein, geduscht und angezogen, einen Kaffeebecher in einer Hand und eine Zeitung in der anderen. Die Frauen trugen Pyjamas.
    »Lyd, danke, dass du gestern Nacht aufgestanden bist. Ich habe den Schlaf wirklich gebraucht«, sagte John.
    »Dad, wie in aller Welt kannst du bloß glauben, dass du nach New York gehen und das alles ohne unsere Hilfe schaffen kannst?«, fragte die Mutter.
    »Ich werde eine Hauspflegekraft einstellen. Ich habe schon angefangen, jemanden zu suchen, der sofort anfangen kann.«
    »Ich will nicht, dass sich fremde Leute um sie kümmern. Sie werden sie nicht so umarmen und lieben wie wir«, sagte die Schauspielerin.
    »Und eine Fremde kennt ihre Geschichte und ihre Erinnerungen nicht so wie wir. Wir können manchmal ihre Lücken ausfüllen und ihre Körpersprache lesen, und das nur, weil wir sie kennen«, sagte die Mutter.
    »Ich sage ja nicht, dass wir uns nicht mehr um sie kümmern werden, ich denke nur realistisch und praktisch. Wir müssendas alles nicht allein schultern. Du wirst selbst in ein paar Monaten wieder zu arbeiten anfangen und jeden Abend zu zwei Babys nach Hause kommen, die du den ganzen Tag nicht gesehen hast.
    Und du, Lydia, fängst mit der Uni an. Du redest doch ständig davon, wie anspruchsvoll dieser Studiengang ist. Tom ist in diesem Augenblick in einer OP. Ihr alle werdet in nächster Zeit so viel um die Ohren haben wie noch nie, und eure Mutter wäre die Letzte, die wollte, dass ihr für sie Abstriche macht, wenn es um eure eigene Lebensqualität geht. Sie würde euch niemals zur Last fallen wollen.«
    »Sie ist keine Last, sie ist unsere Mutter«, sagte die Mutter.
    Sie redeten zu schnell, und sie verwendeten zu viele Pronomen. Und das Baby in Rosa
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