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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Autoren: Damien Echols
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tue, muss sich doch alles verändern: Emotionen, Reaktionen, Körper, Bewusstsein und Energieströme. In meiner Verzweiflung stürzte ich mich auf Zen. Ich war durch die Hölle gegangen, traumatisiert und in die Todeszelle gesperrt worden – für ein Verbrechen, das ich nicht begangen hatte. Wut und Empörung fraßen mich bei lebendigem Leibe auf. Die Behandlung, die ich tagtäglich erfuhr, ließ Hass in meinem Herzen wachsen. Je reiner jemand ist, desto mehr Licht scheint durch ihn hindurch. Wenn man das Schlechte hinausschwemmt, kann der Strom fließen wie das Licht durch eine Fensterscheibe. Durch diesen Prozess habe ich mir schon oft meinen Weg gebahnt. Jeder Tag, an dem ich aufwache, bedeutet, dass ich einen Tag näher an einem neuen Leben bin. Ich kann spüren, wie das jahrelang akkumulierte Programmieren und Traumatisieren von meinem Körper abschmilzt und eine aus früher Vergangenheit erinnerte Reinheit hinterlässt. Normalerweise habe ich zumindest eine ungefähre Vorstellung von dem, was ich – mit einem Kunstprojekt oder bei der Erforschung anderer Bereiche des Bewusstseins – zu erreichen oder zu erleben hoffe, aber diesmal fliege ich blind in diesem Strom, wohin er mich auch immer tragen mag. Ich fühle mich jünger als irgendwann in den letzten zehn Jahren, und Erinnerungen, die ich lange vergessen habe, sind jetzt wieder so nah, dass ich sie berühren kann.
    Im Kino sind es immer die Mitgefangenen, vor denen man auf der Hut sein muss. Im wirklichen Leben sind es die Wärter und die Verwaltung. Sie geben sich alle erdenkliche Mühe, dir das Leben schwerer und stressiger zu machen, als es schon ist, als wäre es noch nicht genug, dass du im Todestrakt sitzt. Sie können einen Mann ins Gefängnis sperren, weil er ungedeckte Schecks ausgestellt hat, und ihn dann so lange quälen, bis er gewalttätig wird. Ich wollte nicht, dass diese Leute die Macht hatten, mich zu verändern, mich innerlich zu berühren, bis ich so modrig und abgestanden wäre wie sie. Im Laufe der Jahre habe ich so gut wie jede spirituelle Praktik, jede Art von Meditationsübung ausprobiert, die mir dabei helfen konnte, nicht den Verstand zu verlieren.
    Ich habe keinen Überblick mehr über die Zahl der Hinrichtungen, die während meiner Haftzeit stattgefunden haben. Ich glaube, es waren fünfundzwanzig bis dreißig. Ein paar der betroffenen Männer habe ich gut gekannt, und sie standen mir nah. Von anderen konnte ich schon den Anblick nicht ertragen. So oder so, bei keinem war ich glücklich, ihn auf diese Weise gehen zu sehen.
    Viele Leute traten für Ju San Frank Parker ein und baten den Staat, ihm das Leben zu schenken, aber letzten Endes half alles nichts. Er hatte ein abscheuliches Verbrechen begangen. Frankie Parker war ein brutaler Heroinjunkie, der seine Exschwiegereltern umgebracht und seine Exfrau auf einer Polizeiwache in Arkansas als Geisel genommen hatte. Im Laufe der Jahre war aus ihm Ju San geworden, ein ordinierter buddhistischer Priester der Rinzai-Zen-Schule mit vielen Freunden und Anhängern. In der Nacht seiner Hinrichtung im Jahr 1996, kurz nachdem er für tot erklärt worden war, durfte sein Lehrer und spiritueller Ratgeber durch den Todestrakt gehen und die Verurteilten grüßen. Es war das erste Mal, dass ein spiritueller Ratgeber nach einer Hinrichtung die Erlaubnis bekam, mit den Häftlingen zu sprechen. Er berichtete uns, was Frankies letzte Worte gewesen waren und was er als Henkersmahlzeit gegessen hatte, und er schilderte uns die Hinrichtung.
    Ich hatte mir im Fernsehen die Nachrichten über Ju Sans Tod angesehen, als jemand vor meiner Zellentür stehen blieb. Als ich mich umdrehte, sah ich einen kleinen, glatzköpfigen alten Mann in einem schwarzen Gewand und mit Sandalen an den Füßen, der eine Gebetskette in der Hand hielt. Seine wilden weißen Augenbrauen wucherten so unkontrolliert, dass sie aussahen wie Hörner. Es war, als habe er einen Schnurrbart über den Augen. Er wirkte eindringlich und konzentriert, als er sich vorstellte. Oft kommen protestantische Geistliche durch den Todestrakt, aber alle scheinen zu glauben, sie seien was Besseres als wir. Man merkt es schon daran, dass die meisten sich nicht mal die Mühe machen, einem die Hand zu geben. Kobutsu war ganz anders. Er schaute mir direkt und fest in die Augen und war anscheinend ehrlich erfreut, mich kennenzulernen. Es war seine persönliche Mission gewesen zu tun, was er konnte, um Ju San zu helfen, und nach der Hinrichtung war er
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