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Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Titel: Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
Autoren: Hanne Seemann
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irritiert es, wenn der Begriff psycho somatisch fällt. Denn erstens fühlt sich das Symptom überhaupt nicht psychisch an – im Gegensatz zu Panik, Angst, Trauer, Glück –, sondern ganz und gar körperlich. Ja, es tarnt sich geradezu wie ein echtes Körpersymptom und ist von einem solchen auch erst einmal nicht zu unterscheiden. Außerdem sind die Übergänge fließend, und kein Mensch weiß definitiv, ob hinter Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Hautausschlag, Neurodermitis, Haarausfall, Halsschmerzen usw. körperliche oder psychische Ursachen stecken.
    Wie bei Sylvia. Sie war damals, als ich sie sah, 13 Jahre alt – und sie fiel von einer Ohnmacht in die andere. Wobei man nicht einmal definitiv von Ohnmacht sprechen konnte – niemand wusste, was da los war, sie fiel einfach öfter mal um. Meistens morgens in der Schule, auch, wenn sie mit ihren Freundinnen unterwegs war, auch in der Familie. Sie hatte zwei Geschwister, einen jüngeren Bruder, eine ältere Schwester – beide, wie man so sagt, »unauffällig«. Sie hatte eine Mutter, die in einem Wirtschaftsunternehmen an bedeutender Position arbeitete, und einen Familien-Vater, der zu Hause war. Beide Eltern waren »Akademiker«, was der behandelnde Arzt, der mir Sylvia zuwies, mit einem inneren Kopfschütteln anmerkte: Er, selbst Akademiker, konnte sich wohl nicht so recht vorstellen, wie ein Mann dieses Bildungsstatus Hausmann sein mochte. Dabei war das in dieser »symptomatischen« Zeit ein Glück! Der Vater konnte es sich leisten, morgens, während seine Tochter im Klassenzimmer saß, draußen vor der Tür zu sitzen. Wenn sie mal wieder – was mehrmals in der Woche oder sogar mehrmals am Vormittag vorkam – umgefallen war und also nicht saß, sondern dalag, konnte man ihn rufen. Er trug sie hinaus, wartete, bis sie zu sich gekommen war und wieder hineingehen konnte. Das verhinderte, dass der Unterricht längere Zeit unterbrochen war, dass der Notarztwagen gerufen werden musste, dass Sylvia im Krankenhaus wieder und wieder durchgecheckt wurde. Das hatte schon viele Male stattgefunden und nichts ergeben. Keine Kreislaufstörung, keinen epileptischen Anfall, keine neurologischen Erklärungen – eben nichts . Deshalb also zum Psychologen mit der Frage: Handelt es sich hier etwa um eine psychosomatische Störung? Ja, davon sollte man ausgehen.
    Die Geschichte erzähle ich später weiter.
    So gehen die Wege immer und so sollen sie gehen: Zuerst müssen mögliche körperliche Ursachen abgeklärt werden – und das dauert leider so seine Zeit. Weil, wie oben schon gesagt, das Symptom sich »tarnt«, als wäre es körperlich. Es ist ja auch körperlich: Der Körper inszeniert es, und mit körperlichen Symptomen kennt sich der Körper eben gut aus – so einfach ist das. Für den Körper. Nicht jedoch für die betroffene Person, die zunächst einmal irritiert ist und Angst bekommt, und auch nicht für den diagnostizierenden Arzt, der nur eine sogenannte Ausschlussdiagnose stellen kann – indem er körperliche Ursachen ausschließt.
    Früher hat man es damit bewenden lassen, indem der Arzt sagte: Sie haben nichts, machen Sie sich keine Sorgen, treten Sie vielleicht ein bisschen kürzer, körperlich ist alles in Ordnung, achten Sie nicht weiter darauf usw. …
    Das war ein schlimmer und gleichzeitig widersinniger Fehler. Denn wie sich zeigen wird: Wenn man eine psychosomatische Störung nicht beachtet, wird sie schlimmer oder es kommen noch andere hinzu. Was sagt uns das? Nicht wegschauen – hinschauen!
    Deshalb soll als erstes erklärt werden, was das ist: eine psychosomatische Störung und wie man sie verstehen und beantworten kann. Das nimmt den ganzen ersten Teil des Buches ein.
    Im zweiten, spezielleren Teil gehe ich auf Besonderheiten ein, aus denen sich dann auch besondere Schlüsse für den Umgang mit einer solchen Störung ziehen lassen. Wenn Sie ein Patient, eine Patientin sind, dann können Sie sich in diesem Teil denjenigen Abschnitt heraussuchen, der auf Ihre Beschwerden am besten zutrifft.
    Oder sie blättern gleich weiter zum Schluss: zum Lebensbogen. Der geht wieder jede und jeden etwas an.



1.Eine psychosomatische Störung – was ist das?
    Wenn es keine echte Körperstörung ist, sie sich aber körperlich bemerkbar macht, man sie nicht sehen (Röntgen, Ultraschall, EEG, EKG, MRT, CT etc.) und nicht analysieren (Laborwerte) kann, wie kann man ihr dann beikommen? Indem man zuallererst einmal akzeptiert, dass nur der betroffene Mensch einen Zugang
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