Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Mein Koerper und ich - Freund oder Feind

Titel: Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
Autoren: Hanne Seemann
Vom Netzwerk:
wenn er merkt, dass Ihnen etwas sehr wichtig ist – wenn es also gewissermaßen um Ihr psychisches Überleben geht. Selbstverständlich mobilisiert er unglaubliche Energien, wenn er selbst Lust dazu hat. Andererseits ist er völlig unmoralisch und durch keine rationalen und funktionalen Argumente zu überzeugen, wenn er merkt, dass Sie ein unbekömmliches Leben führen. Dann erzwingt er Änderungen nach seinem eigenen Geschmack – al gusto, sozusagen.
    Geben Sie ihm, was er verlangt! Und zwar rechtzeitig, bevor er Sie fertigmacht.
    Das klingt alles sehr hart und fast militant – so ist es letztendlich in der Endstrecke: ein Kampf. Anfangs jedoch, wenn sich der Körper leise meldet, also erst einmal den Zeigefinger mahnend hebt, stecken dahinter eine Bitte, ein Wunsch, eine Sehnsucht – nach einem guten Leben. Wenn das Leben – früher einmal – gut war, so erinnert sich Ihr Körper daran. Und auch Sie können sich erinnern, dass es Ihnen damals mit ihm gut ging.
    Wenn es auch in schwierigen Zeiten bei allen belastenden Symptomen dennoch störungsfreie Zwischenzeiten gibt, so sollten Sie darauf sorgfältig schauen.
    Bevor ich einem Menschen – Mann, Frau, Kind, Paar – einen Beratungstermin gebe, bekommt er, sie, es eine Aufgabe: Achten Sie darauf, wann, wo, unter welchen Bedingungen sich die Symptome zurückziehen, ganz oder teilweise. Anders gesagt: Gibt es Zeiten und Orte, an denen es Ihnen gut oder zumindest besser geht? Darüber lohnt es sich, sorgfältig nachzudenken – es fällt einem nämlich oft gar nicht auf, wenn die Symptome mal weg sind – das Normale ist unauffällig!
    Ein älterer Mann, der seit seiner Jugend mehr oder weniger starke Schmerzen im rechten Arm hatte – mehr, wenn es bei der Arbeit stressig war, weniger, wenn er sonst unter Leuten sein musste oder wollte –, antwortete auf diese Frage: »Bei meinen Bienen macht der Arm mit, da spür ich ihn überhaupt nicht. Manchmal, wenn er mir sehr wehtut, geh ich von der Arbeit aus gleich zu meinen Bienenstöcken, dann ist der Schmerz sofort weg.« So definitive Antworten gibt der Körper selten!
    Der Hintergrund dieses alten und chronischen Schmerzes lag in der Jugend dieses Mannes, als er ein Junge von 16 Jahren war und von einem Lehrer beleidigt und gedemütigt wurde. Da hob er unwillkürlich die Hand, er war Rechtshänder, um zuzuschlagen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, weil ihm klar wurde, dass es sich ja um eine übergeordnete Person handelte: Einen Lehrer schlägt man nicht, auch keinen Vater, Pfarrer, keinen, der einem grundlegend schaden könnte. Den eigentlichen Fehler machte aber danach seine Mutter, der er, immer noch wütend, davon erzählte. Statt ihn in seinem Zorn zu bestätigen, beschuldigte sie ihn und machte ihn für das Verhalten des Lehrers verantwortlich. Da begann sein Arm zu schmerzen, nicht dauernd, aber immer wieder mal. Obwohl der Patient nun mittlerweile schon 58 Jahre alt war und obwohl er die Gerechtigkeitsverhältnisse innerlich schon längst zurechtgerückt hatte, reagierte sein Arm immer noch, wenn eine soziale Situation es nicht zuließ, die eigene Meinung laut zu sagen, wenn er jemanden hätte kritisieren sollen – er war Techniker bei den Heidelberger Druckmaschinen geworden und hatte als Meister eine Gruppe von Mitarbeitern unter sich –, und ganz besonders deutlich, wenn ein Vorgesetzter ihn ungerecht behandelte – also in einer Situation von Hilflosigkeit, derer er sich nicht erwehren konnte.
    Ich musste lachen und sagte zu ihm: »Aber wenn Ihre Bienen Sie stechen, ist das dann nicht auch so was? Schlagen Sie dann zu?« »Nein, sagte er, was denken denn Sie? Meine Bienen stechen mich doch nicht! Niemals!«
    Hier also haben wir den Unterschied: Bei seinen Bienen fühlte er sich sicher, die tun ihm nichts. Und sofort entspannte er sich. Die Anspannung im Arm, die bei ihm sofort und unwillkürlich entsteht, wenn eine unfaire Situation bei gleichzeitiger Hilflosigkeit auftritt, ist eine alte und spontane Körpererinnerung an jene frühe Situation, die nicht aufgelöst werden konnte. Man nennt solche spontanen Lernvorgänge Konditionierung, in gravierenden Fällen auch konditionierte Traumatisierung. Es ist eine völlig unwillkürliche Körperreaktion mit so starker Anspannung, dass es wehtut. Man könnte auch sagen, dass in dem Arm immer noch die wütende Energie steckt, die nicht herauskommen durfte.
    Ich selbst kann es oft nicht fassen, wenn ich höre, welch starken Schmerz ein einziger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher