Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Catherines London-Reise verdanke.
    Die Summe der Scheußlichkeiten bei der Vernichtung Georg Groscurths und seiner Freunde entrüstete mich wie einen pubertierenden Jungen, der zum ersten Mal die Schlechtigkeit der Welt entdeckt. Die Empörung übertraf noch den Zorn über die Kette der Urteile gegen Anneliese Groscurth und reichte tiefer als die anhaltende Wut über die Begründung des Freispruchs für R.
    Anfang Mai j ährte sich die Hinrichtung zum fünfundzwanzigsten Mal, und ich erinnere mich, wie dieser banale Zusammenhang, so lang die Zeit, so kurz die Zeit, neue Bitterkeit und neue Wellen der Empörung in mir hochkochen ließ. Wenn der Hass in friedliche Menschen fährt, erschrecken sie selbst am meisten, denn sie wollen nichts zu tun haben mit solchen destruktiven Kräften. Deshalb wollte ich nicht auffällig werden und wagte mich in jenen Tagen weder zu Frau Groscurth noch zu Axel oder Catherine.
    Da ich nicht wie ein Kranker lautlos in mich hineinwüten wollte, setzte ich mich ins Auto und fuhr, ich weiß nicht warum, zum Teufelsberg. Ich eilte, keuchte hinauf, wollte über dem grauen Dreckdunst stehen, brauchte den frischsten Wind und den freisten Blick, um nicht zu ersticken. Über den Wipfeln des weiten Grunewalds versuchte ich mich zu beruhigen und mir den Atem der Natur zu Eigen zu machen. Trotzdem blieb der Hass im Kopf, ich konnte ihn nicht wegschlucken, die Eruptionen nicht stoppen. In den Gehirnbahnen tobte, es ist heute peinlich, ja komisch, eine kindische Feindseligkeit gegen die Kiefern, den abgezirkelten Wald, den Seelenberuhigungswald, den Strammstehwald, den preußisch korrekten Soldatenwald und so weiter. Wieder der Gedanke: Warum hat man die alten Nazis, die noch lange nicht alt waren, die staatlich geprüften Barbaren, die Liebhaber des Fallbeils, die Achtel- und Viertel- und Drittel-Henker, die Heerscharen der Mordkomplizen nicht zur Bewährung in den Forstdienst abgestellt, in die mittlere Postlaufbahn oder in die Stellwerke der Bahn statt in Ämter, Ministerien und Gerichte, warum eigentlich nicht?
    Als ich mich zur Dachlandschaft der Stadt hin drehte, holte ich zu einer Schmährede aus, wie ich sie sonst nur in wilden Träumen der Abrechnung abließ: Verfluchte Stadt der Sklaven da unten, Sklaven der Kaiser, der Hitlers, der Russen und selbst der Amis, ihr freiwilligen Anpasser, ihr Leisetreter, ihr Angsthasen, was duckt ihr euch unter den Dächern! Und ihr, ja ihr Paragraphenschinder, Raubritter der Gesetze, Rechtsverdreher, Justizschwindler und Frevler, ihr seid die schlimmsten Sklaven, ihr schafft es sogar, von Generation zu Generation immer noch tückischer, raffinierter und gemeiner zu werden, obwohl euch heute keiner mehr zwingt, nur das Faustrecht eurer Standesehre. In schlechtem Deutsch richtet ihr, richtet ihr Deutschland zugrunde mit den Wiederholungen eurer niedrigen Beweggründe, mit euren niederträchtigen Vorurteilen, und wenn ihr nur einen bequemen und geräumigen Paragraphen findet, unterwerft ihr euch freiwillig dieser
    Macht. Kennt ihr das Bild, das irgendwo in Nürnberg oder München hängt, vom Richter, den der König Kambyses wegen seiner Bestechlichkeit häuten und die Haut auf den Richterstuhl spannen ließ, bevor er den Sohn zum Nachfolger bestimmte? Habt ihr nie auf den Häuten eurer bestochenen Väter gesessen? Habt ihr euch nie von euren Vorurteilen bestochen gefühlt? Seid ihr nie auf die Idee gekommen, dass man auch mit Paragraphen foltern kann? Und dass ihr bestochen seid von euch selbst, von eurer heilen Beamtenhaut? Was habt ihr gelernt aus der Geschichte, was von der Dienstzeit unter einer Verbrecherbande, was habt ihr gelernt von den Toten, von den Bomben? Nichts habt ihr gelernt, nicht einmal die Lehren nehmt ihr an, die diese Stadt euch gelehrt hat, die hier in Trümmern unter meinen Füßen liegt, in fünfzehn Jahren mit Hunderten von Lastwagen jeden Tag wurde der Berg geschaffen und wird heute noch höher, jeden Tag wächst der Gipfel da drüben mit all dem Schrott und Schutt des Krieges, der euch erschüttern müsste und den Hochmut nehmen, aber nein, ihr bleibt schwarz und dumm auf euren Richterbänken.
    Nicht einmal der Wiederaufbau der Stadt hat euch belehrt - wenn jetzt ein Vulkan ausbräche und aus dem Spree-Athen ein Spree-Pompeji machte, was könntet ihr vorzeigen in tausend Jahren, was bliebe an den Wänden außer Blümchentapeten, röhrenden Hirschen und dem grinsenden Heintje, was habt ihr von der Demokratie, wenn ihr nichts daraus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher