Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
und in die Galerie ihrer hübschen Fälle aufnehmen. Und wen sie entlassen, der bleibt weiter ein Psycho-patient, nicht ganz zurechnungsfähig, verdächtig, ein Mensch ohne Selbstkontrolle, und das mir!
    Ich trug schließlich einem Neurologen aus Steglitz mein Leiden vor: Eine Stimme aus dem Radio habe mir befohlen, mich mit dem Naziverbrecher R. zu beschäftigen. Vom Mordbefehl sagte ich nichts. Der Arzt nickte, fragte: Seit wann? Wie oft?, und verschrieb mir Haldol. Nach R. fragte er nicht einmal.
    Der Hauruck-Therapie traute ich nicht, der Beipackzettel drohte mit Nebenwirkungen: Benommenheit, Konzentrationsschwäche, Muskelverkrampfungen und Zittern. Nein, lahm legen, krank machen lass ich mich nicht, dann lieber die gute böse Tat begehen! Das Medikament sollte gegen Wahnvorstellungen bei Psychosen helfen. Nein, eine Psychose lass ich mir von Ärzten nicht andrehen! Und seit wann ist es ein Wahn, alte Nazis zu bekämpfen?
    Das Zeug warf ich weg und hatte mein Alibi.
Drei Witwen im Halbschatten schwärmen von Humphrey Bogart
    Ein Foto aus dem Gedächtnis-Album: drei Frauen in geblümten Sommerkleidern vor einer Laube mitten in einer der vorschriftsmäßigen Berliner Kleingartenanlagen. Apfelbäume, Kirschbäume rechts und links neben Maschendrahtzaun, im Hintergrund Stachelbeersträucher, Beete, Gartengerät. Vor der dunkelgrün gestrichenen Laube ein gedeckter Tisch und Stühle im Halbschatten, davor eine Rasenfläche, nicht viel länger und breiter als ein großes Berliner Wohnzimmer. Zwei Hunde wuseln herum, ein brauner Dackel, ein schwarzer Terrier, wenn ich das richtig erinnere. Die drei Frauen um die sechzig trinken Kaffee, essen Obstkuchen, Sahne. Die Farben ihrer Kleider beißen sich. Anneliese und ihre Freundinnen Hilde und Kläre, bester Stimmung an einem warmen Julisonntag 69.
    Als Axel und ich hinzukommen, sprechen sie vom Reisen, ich höre Bali, ich höre Marokko, ich höre Genfer See. Sie lieben Kuchen, Sahne, Kaffee, sie füllen uns die Teller, sie füttern die Hunde, sie machen Pläne, sie wünschen sich ein Haus in der Schweiz.
    Hilde hat fünfzehn Jahre lang in endlosen Nachtstunden die Schriftsätze für Anneliese gefertigt, Beweismaterial zusammengesucht und sich tausendmal über die Prozessmüdigkeit und Unordnung ihrer überlasteten Mandantin aufgeregt, jetzt sind sie befreundet. Kläre hatte als Taxifahrerin einen Juden versteckt und nach dem Krieg geheiratet, der seit fünf Jahren tot ist, niemand hat Anneliese so zum Durchhalten ermuntert wie die beiden. Hilde und Kläre sind aufeinander eifersüchtig, Hilde in vornehmer, Kläre in berlinischer Art, beide möchten Annelieses beste Freundin sein, ein Sticheln hier, ein Spötteln da, es ist ein Spiel, das alle durchschauen und das die Stimmung nicht trübt. Hilde will nach Casablanca, Kläre nach Finnland reisen.
    Anneliese hat inzwischen einen Pass. Erst 1963, als man für viele europäische Länder keinen Reisepass mehr brauchte, ließ sich der Polizeipräsident erweichen. Da sie in den letzten Jahren politisch nicht in Erscheinung getreten sei, wolle er einem Vergleich nicht im Weg stehen - falls sie die Gerichtskosten trage. Wieder eine Erpressung, diesmal mit den Kosten. Eine Prestigesache, denn die Polizei macht nie etwas falsch, ist niemals schuld. Der Rechtsstreit wurde für erledigt erklärt, sie bekam den Pass und die Rechnungen.
    Jetzt darf sie mitspielen bei der Partie Casablanca gegen Finnland. Sie plädiert für Marokko, das sei billiger. Kläre ist gegen die Hitze. Aber im Dezember doch nicht! Das Spiel geht weiter. Momente des Glücks.
    Mit meinen Fragen im Kopf fühle ich mich wie der Störenfried. Zum Glück habe ich meine Sonntagslektüre, den Tagesspiegel, im Auto gelassen. Diese Zeitung dürfe der Mutter nicht unter die Augen kommen, hat Axel gesagt, wenn sie die nur sehe, koche die Verbitterung über 1951 wieder hoch. Nur wegen der alten Verleumdung lese sie bis heute lieber die Welt.
    Ich sehe Anneliese Groscurth zwischen ihren Freundinnen, entspannt wie nie, in einem gelben Kleid, eine schöne, schlagfertige Sechzigerin, freundlich nach allen Seiten, die heitere Schiedsrichterin zwischen Finnland und Marokko. Wann wird sie befreit sein von dem Gefühl, für den kurzen Widerstand gegen die Nazis lebenslänglich bestraft zu werden? Inzwischen muss sie wenigstens nicht mehr allein kämpfen, jetzt erstreiten Rolf und Axel das Recht auf Entschädigung.
    Über Marokko und Casablanca kommt das Gespräch, unvermeidlich, auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher