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Mein ist die Stunde der Nacht

Mein ist die Stunde der Nacht

Titel: Mein ist die Stunde der Nacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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ängstlichen und vom Schicksal gebeutelten achtzehnjährigen Mädchens, das sie damals gewesen war, anstecken und sich auf der Cocktailparty zu ihren alten Klassenkameraden gesellen.
    Als sie den Zimmerschlüssel an sich nahm und sich umwandte, hörte sie den Angestellten sagen: »Ach, Miss Sheridan, fast hätte ich es vergessen. Für Sie ist ein Fax gekommen.« Er schielte auf den Namen auf dem Umschlag. »Oh, ich bitte um Verzeihung. Ich sollte wohl besser Dr. Sheridan sagen.«
    Ohne etwas zu erwidern, riss Jean den Umschlag auf. Das Fax kam von ihrer Sekretärin an der Georgetown University: »Dr. Sheridan, eigentlich wollte ich Sie nicht stören. Wahrscheinlich ist dies nur ein übler Scherz, aber ich hielt es für besser, es Ihnen zu schicken.« Mit »es« war ein einzelnes Blatt Papier gemeint, das an ihr Büro gefaxt worden war. Es lautete: »Jean, sicherlich hast du dich mittlerweile davon überzeugen können, dass ich Lily tatsächlich kenne. Nun stehe ich vor dem Problem: Soll ich sie küssen oder umbringen? Kleiner Scherz. Ich melde mich wieder.«
    Einige Sekunden lang war Jean weder imstande, sich zu bewegen, noch zu denken. Sie umbringen ? Aber warum? Warum?

    Er hatte an der Bar gestanden, Ausschau haltend, darauf wartend, dass sie hereinkommen würde. In den vergangenen Jahren hatte er Fotos von ihr auf den Schutzumschlägen ihrer
Bücher gesehen, und jedes Mal musste er schockiert feststellen, was für eine attraktive, elegante Frau Jeannie Sheridan geworden war.
    In Stonecroft war sie eine der Klügsten, aber auch eine der Stillsten der Klasse gewesen. Zu ihm war sie eigentlich ganz nett gewesen, wenn auch auf eher oberflächliche Weise. Er hatte angefangen, sie richtig zu mögen, bis Alison ihm erzählt hatte, wie sie sich über ihn lustig gemacht hatten. Er wusste, wer mit »sie« gemeint war: Laura, Catherine, Debra, Cindy, Gloria, Alison und Jean. Sie hatten beim Mittagessen immer zusammen an einem Tisch gesessen.
    Eine süßer als die andere, dachte er, während die Wut in ihm hochkochte. Aber jetzt waren Catherine und Debra und Cindy und Gloria und Alison tot. Und Laura hatte er sich für zuletzt aufgehoben. Das Witzige an der Sache war, dass er immer noch nicht genau wusste, was er mit Jean machen sollte. Aus irgendeinem Grund war er sich unschlüssig, ob er sie töten sollte. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als er als Schulanfänger probeweise beim Baseballteam hatte mitspielen dürfen. Er war fast sofort ausgewechselt worden und in Tränen ausgebrochen – diese kindischen Tränen, die er nie hatte zurückhalten können.
    Heulsuse. Heulsuse.
    Er war vom Spielfeld gerannt. Kurze Zeit später hatte Jeannie ihn eingeholt. »Ich hab es auch nicht geschafft, bei der Cheerleader-Truppe aufgenommen zu werden«, sagte sie. »Was ist schon dabei?«
    Sie war ihm gefolgt, weil sie Mitleid mit ihm hatte. Aus diesem Grund glaubte er nicht, dass sie unter denjenigen gewesen war, die sich über ihn lustig gemacht hatten, weil er Laura gefragt hatte, ob sie mit ihm zum Schulball gehen wolle. Doch sie hatte ihn auf eine andere Weise verletzt.
    Laura war immer das hübscheste Mädchen der Klasse gewesen – goldblondes Haar, strahlend blaue Augen, tolle Figur, wie man trotz Bluse und Rock der Stonecroft-Uniform
erkennen konnte. Sie war sich ihrer Anziehungskraft auf die Jungen stets bewusst gewesen. Sie war die geborene Anführerin, das Alphaweibchen.
    Alison war schon immer gemein gewesen. In der Schülerzeitung schrieb sie regelmäßig eine Kolumne mit der Überschrift »Hinter den Kulissen«, in der es eigentlich allgemein um Aktivitäten in der Schule gehen sollte. Sie brachte es aber immer wieder fertig, jemandem darin eins auszuwischen, etwa, als sie in einer Kritik einer Theateraufführung geschrieben hatte: »Zur allgemeinen Überraschung schaffte es Romeo, gespielt von Joel Nieman, den größten Teil seines Textes auswendig aufzusagen.« Die beliebten Schüler fanden Alison toll. Die Klassentrottel hielten sich eher von ihr fern.
    So, wie ich, dachte er, und erinnerte sich mit Genugtuung an das entsetzte Gesicht von Alison, als sie ihn aus dem Badehaus hatte kommen sehen.
    Jean war auch beliebt gewesen, aber sie schien anders zu sein als die anderen Mädchen. Sie war in die Schülervertretung gewählt worden und hatte dort so wenig gesagt, dass man sich manchmal fragen musste, ob sie überhaupt reden konnte. Aber wenn sie den Mund aufmachte, sei es dort oder im Unterricht, dann hatte sie immer
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