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Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Titel: Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Herwig
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Stammkunden gewesen, er war fast so etwas wie ein Freund. Sie vermisste ihre langen Gespräche über Tee, über ferne Länder, über Gott und die Welt. Im Sommer hatten sie oft auf der kleinen Bank vor dem Teeladen in der Sonne gesessen, einen Eistee in der Hand und dabei ganz die Zeit vergessen. Im Winter hatte sie ihn einmal zufällig auf einem Weihnachtskonzert getroffen, wie selbstverständlich hatten sie nebeneinandergesessen und wahrscheinlich für alle Welt ausgesehen wie ein Paar. Und irgendwie hatte Wanda in den letzten Jahren auch immer mal wieder gehofft, dass sich ihre Begegnungen eines Tages nicht nur auf seine Besuche im Teeladen oder Zufälle beschränken würden.
    »So, der Früchtetee.« Martins Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Und noch eine kleine Kostprobe für Sie, Frau Ludwig. Matcha.« Mit einem triumphierenden Blick drückte Martin der verdutzten alten Frau noch ein kleines Päckchen in die Hand.
    »Was? Was für’n Matsch?«, fragte die misstrauisch.
    »Grüner Tee. Macht jung und gesund und schön. Nicht dass Sie das bräuchten, Frau Ludwig.«
    Wanda traute ihren Ohren kaum, so ein Geschmalze konnte Martin doch unmöglich ernst meinen? Doch dann sah sie, wie ein Lächeln die Miene der alten Ludwig erhellte, ein Lächeln, das in dem sauertöpfischen, zerknitterten Gesicht so selten war wie ein neunundzwanzigster Februar und eine unglaubliche Wirkung hatte. Frau Ludwig erschien fast menschlich!
    »Also, ich könnte da wohl einen ganzen Eimer vertragen.« Bertram lachte. »Besonders wegen dem, was ich vorhabe.« Er zupfte Wanda am Ärmel. »Hast du ein bisschen Zeit? Ich lade dich zum Mittagessen ein. Dann kann ich dir gleich von meinem Plan erzählen. Ich hätte dich heute sowieso noch angerufen.«
    »Ach, tatsächlich?« Wanda sah ihn überrascht an. »Ich spiele für deine Pläne eine Rolle?«
    »Ich hoffe es.« Bertram lächelte immer noch, als ob er scherzte, doch in seinen Augen glimmerte noch etwas anderes. Hoffnung? Oder gar … Wanda stockte der Atem. Bertram hatte sie noch nie vorher irgendwohin eingeladen. War es nicht das, was sie sich immer gewünscht hatte? Dass nicht nur Gespräche stattfanden, sondern vielleicht noch ein bisschen mehr?
    »Klar habe ich Zeit«, hörte sie sich zu ihrer Überraschung sagen. Biggi und ihr komischer Klub konnten warten. Und Martin hatte das hier tatsächlich im Griff, wenn auch auf andere Weise als Wanda die zwanzig Jahre davor. Aber selbst wenn er die Wände schwarzweiß kariert anmalen und einen Roboter hinter die Kasse stellen würde, konnte ihr das egal sein. Es war jetzt sein Laden. Nicht mehr Wandas. Denn heute begann endgültig Wandas neues, teeladenfreies Leben!
    Bertram hielt ihr die Tür auf.
    Wanda zögerte kurz. Er konnte ja wenigstens mal andeuten, worum es ging. »Bertram, was genau hast du eigentlich vor?«
    Er grinste. »Schon mal Känguru gegessen?«

3   Sydney oder Sauerland?
    Im Wallaby herrschte ein unheimlicher Andrang. Wanda konnte es gar nicht fassen, dass es offenbar so viele Menschen gab, die sich in ihrer Mittagspause statt bayrischem Kraut oder Kartoffelsuppe ein Stück Krokodil, Strauß oder gar Känguru schmecken ließen. Nie im Leben wäre sie alleine in dieses Restaurant gegangen, aber Bertram war ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal hier. Sie nahmen unter einem großen Wandbild Platz, das Muster aus der Kunst der Aborigines zeigte.
    »Baumrinden-Malerei?« Wanda deutete ein Kopfnicken in Richtung des Bildes an.
    Bertram lächelte anerkennend. »Du kennst dich aus.«
    Wanda murmelte eine vage Zustimmung, froh darüber, dass Stefan ihr auf seiner Australienreise damals so viele Karten geschickt hatte. Sie bestellten Getränke, und Wanda las mit wachsendem Entsetzen die Speisekarte. Känguru würde sie definitiv nicht essen, schließlich hatte sie vor einem halben Leben alle Folgen von Skippy das Buschkänguru gesehen. Heuschrecke und Krokodilsteak kamen ebenfalls nicht in Frage, allein bei der Vorstellung kräuselten sich ihre Nackenhaare. Heuschrecken! So ein winziges Getier, fast wie Kakerlaken, mit dünnen Beinchen und diesen glotzigen Insektenaugen, einfach furchtbar, wie konnte sich jemand so etwas in den Mund stecken?
    »Ich nehme die Heuschrecken«, sagte Bertram zu dem Kellner, der in einem sonnengelben T-Shirt vor ihnen stand und sie erwartungsvoll ansah. »Du auch, Wanda? Die sind lecker.«
    »Auf gar keinen Fall. Ich nehme ein Steak. Von einem Tier mit vier Beinen.« Wanda klappte die Karte
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