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Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)

Titel: Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Herwig
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nebeneinander und tuschelten leise. Sie waren in Wandas Alter. Zwei andere Frauen waren noch ganz jung und starrten ununterbrochen auf ihre Handys. Die letzte Frau war um die fünfzig und offenbar ganz alleine hergekommen. Wanda fand das ziemlich mutig. In dem Alter wäre sie nie alleine irgendwohin gegangen. Allerdings war sie da auch Teil eines Ehepaares gewesen, und da ging man nicht alleine weg. Auch dann nicht, wenn diese Ehe quasi nur noch auf dem Papier existierte.
    »Wollen wir wieder abhauen?«, flüsterte sie Biggi zu.
    »Wart’s doch erst mal ab«, flüsterte Biggi zurück. Sie sah mit hungrigen Augen zum Eingang, genau wie alle anderen im Raum. Dort öffnete sich jetzt die Tür, und jemand sah herein. Ein Mann!
    Verstört blickte er in die Halle. Die Köpfe der jungen Frauen klappten sofort wieder gleichgültig nach unten. Der Mann hatte seine Hosen in der Art alter Männer bis fast unter die Achseln hochgezogen, dabei war er vielleicht gerade mal sechzig und auch nicht alleine. Eine Frau schob ihn von hinten, und Wanda konnte hören, wie sie leise »Nun geh doch nur mal rein, Holger« sagte. Die Frauen in Sportsachen wandten sich enttäuscht ab. Die Tür öffnete sich wieder, und diesmal kam ein sportlicher, schlanker Typ um die dreißig herein. Er trug ein weißes Hemd unter einer schwarzen Weste und hielt sich ausgesprochen gerade.
    »Señoras y señores!« , rief er ausgelassen und verwandelte damit auf magische Weise selbst den Mann mit den hochgezogenen Hosen in einen glutäugigen Kubaner. »Ich bin Ernesto. Fangen wir an!«
    Er machte sich ohne weitere Umstände an einer schwarzen Musikbox zu schaffen, und auf einmal schallten lateinamerikanische Rhythmen durch die miefige Turnhalle, als befänden sie sich alle in einer Nachtbar in Havanna, Mojito in der Hand und Blumen im Haar. Die anderen Frauen standen zögernd auf, Wanda machte es ihnen nach.
    »Sie können alle keinen Salsa, nein?«, rief Ernesto. Er trippelte ein paar Tanzschritte, schüttelte den Kopf und lachte ungläubig bei der Vorstellung, dass ein Mensch tatsächlich sein bisheriges Leben verbracht haben konnte, ohne täglich Salsa zu tanzen. »Anita wird euch die Grundschritte für die Frau zeigen.«
    Anita? Die Enttäuschung war geradezu körperlich im Raum zu spüren, als Ernestos flotte Tanzpartnerin quasi aus dem Nichts hinter ihm auftauchte.
    »Ich stell mich mal mit dem Rücken zu euch hin, damit ihr das besser sehen könnt«, begann sie. »So. Und dann gehen wir mit dem rechten Fuß nach hinten, das ist die eins, auf zwei gehen wir links vor und auf drei rechts vor, anhalten, auf der fünf gehen wir vor, auf sechs rechts zurück, auf sieben …«
    »Was?«, fragte Wanda verwirrt. Sie hatte bereits den Faden verloren. Und was war mit der vier? Wo war Schritt Nummer vier abgeblieben?
    »… und eins, zwei, drei und fünf, sechs, sieben …«
    Wanda sah sich um. Die beiden jungen Frauen hatten den Schritt schon drauf, es war nicht zu fassen. Die Musik schien immer schneller zu werden, Bongos und Congas hetzten Wanda durch den Raum, immer einen Schritt zu spät oder zu falsch. Sie fing an zu schwitzen. Was zum Teufel hatte sie hier verloren? Warum saß sie nicht auf ihrer gemütlichen Couch und guckte sich den Film mit Ulrich Tukur an, den sie heute brachten?
    »Meinst du, es kommt noch jemand?«, schnaufte Biggi neben ihr. Eine Haarsträhne hatte sich gelöst und hing ihr wirr ins Gesicht.
    Wanda antwortete nicht. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, denn jetzt zeigte Ernesto den Männerschritt.
    »Hacke nicht ganz absetzen, gerade bleiben, immer leicht in den Knien …« Er scharwenzelte mit Anita durch die Halle, was das Zeug hielt, verfolgt von den schmachtenden Blicken der drei Frauen im Sportlook.
    »Und jetzt machen wir das mal als Paar.« Zu Wandas Entsetzen kam Ernesto genau auf sie zu. Er griff nach ihrer und nach Biggis Hand. »Wir bieten unsere Hände an, also die Frauen legen ihre Hände da so rein, keine Daumen benutzen.« Damit hakelte er Biggis widerstrebende Finger in Wandas hinein. »Sie sind jetzt mal der Mann«, sagte er zu Wanda. »Und Augenkontakt nicht vergessen und eins, zwei, drei und fünf, sechs, sieben!«
    Die Musik dröhnte wieder los und scheuchte Wanda erneut durch den Raum, diesmal mit der schweren, ächzenden Biggi im Schlepptau. Ihre Finger hielten sich krampfhaft aneinander fest, wie bei Ertrinkenden. Ständig traten sie sich auf die Füße.
    »Aufpassen, du bist doch der Mann«, sagte Biggi.
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