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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch
Autoren: Monika Hey
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erbbedingt, und bis zu zehn Prozent lassen sich auf Virusinfektionen wie Röteln oder auch Toxoplasmose zurückführen. Nur etwa fünf bis zehn Prozent beruhen auf Chromosomenabweichungen, wobei Trisomie 21 als die häufigste der Chromosomenstörungen auftritt. Zwar lassen sich durch Pränataldiagnostik eine Reihe von Krankheiten und Behinderungen beim Ungeborenen entdecken, im Mutterleib behandeln lassen sie sich allerdings fast nie.
    Definiert werden die kindlichen Fehlbildungen im Ärzteblatt als körperliche oder organische Defekte, die die Lebensfähigkeit der Kinder beeinträchtigen und behandelt werden müssen. Bei einem von fünf Kindern sei der Defekt schwer und lebensbedrohlich. Etwa ein Viertel aller kindlichen Todesfälle stehe im Zusammenhang mit schweren Fehlbildungen. Die mit solchen Fehlbildungen geborenen Kinder benötigten eine kostenintensive Behandlung durch Ärzte und andere Fachkräfte, häufig auch lebenslang, heißt es im Ärzteblatt . 13
    Man muss sich allerdings klarmachen, dass nur die wenigsten Behinderungen angeboren sind. 14 Weitaus häufiger – in mehr als fünfundneunzig Prozent der Fälle – entstehen sie erst später. Manchmal während des Geburtsvorgangs, vor allem aber als Resultat von Verletzungen bei Unfällen im Haushalt, im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz. Darüber hinaus ist Behinderung oft eine Konsequenz von Alterungsprozessen und vor allem von Krankheit, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden nachweist. Nur weniger als fünf Prozent aller erfassten Behinderten sind schon mit einer kindlichen Fehlbildung oder Erkrankung zur Welt gekommen.
    Ich kannte diese Statistiken damals nicht. Doch wenn man sich die Zahlen vor Augen führt, ist der Anteil der Behinderungen durch Chromosomenabweichungen verschwindend gering. Weniger als ein Zehntel von fünf Prozent, also weniger als fünf von tausend Behinderten sind davon betroffen. Behinderung ist also keineswegs in erster Linie ein Thema für Spätgebärende, oder gar Schwangere im Allgemeinen.
    Ich war schwanger, glücklich und fest entschlossen, zuversichtlich zu bleiben.

W ir hatten uns schon auf einen Namen geeinigt. Leon. Ich mochte den Klang und den Gedanken, dass Leon von hinten gelesen das französische Wort für Weihnachten war – Noel. Wahrscheinlich spielte auch das Filmprojekt über den Schriftsteller Lion Feuchtwanger, an dem ich zu jener Zeit arbeitete, bei der Namensfindung eine Rolle. Und meine Bewunderung für Leonard Cohen, für den ich kurz vor dem Abitur die Schule geschwänzt hatte.
    Der Name hatte Klaus und mich auf Anhieb angesprochen, als wir am Pfingstwochenende zahllose Namen ausprobiert und wieder verworfen hatten, während wir zu unserem Lieblingshotel wanderten. Den Weg dorthin kannten wir gut, eine mehrstündige Tour, zu jeder Jahreszeit war er uns vertraut.
    Diesmal blühten die Wiesen jedoch besonders prachtvoll. Ich hatte nie zuvor so schöne Wildblumen gesehen. Sogar Orchideen entdeckte ich. Und ich versprach Leon, dass er alle Namen für diese herrlichen Pflanzen von seinem Vater lernen würde, während ich mit ihm eine Wiese am Hang hinaufstapfte und Klaus oben warten sah. Überall um uns herum erweckte die Frühlingssonne neues Leben. Die Bäume leuchteten zartgrün, und die Buchenblätter schienen in der Luft zu schweben. Schwerelos. Ich war wie berauscht von den Wundern der Natur. Und ich fühlte mich selbst wie eines.
    Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In einem Quellbach am Weg schwammen zappelnde kleine Salamander, von denen einige ihren Fruchtsack noch nicht einmal ganz abgestreift hatten. Hecken von blühendem Ginster entströmte der Duft von Pfirsichen. Mir schien, als würden meine Sinne alles intensiver, üppiger wahrnehmen als sonst. Ich lebte in einer anderen, in meiner neuen Wirklichkeit.
    Bei einem köstlichen Essen feierten wir abends im Hotel mit zwei guten Freunden unser Glück. Sie konnten es ermessen, weil sie von meinem Kinderwunsch und dem lange vergeblichen Warten wussten. Jetzt war ich schwanger, und ich war beschwingt auch ohne Schampus. Die Betten im Hotelzimmer hatte Klaus schon bei unserer Ankunft so verschoben, dass ich vor dem Einschlafen den Sternenhimmel sehen konnte. Mein Glück war grenzenlos.
    In derselben Nacht träumte ich davon, dass wir eine Geburtsanzeige aufgegeben hatten. Sie war abgedruckt in der Tageszeitung, die in meinem Elternhaus immer auf dem Frühstückstisch gelegen hatte. Das neugeborene Kind im Traum hieß Lea. War unser
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