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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch
Autoren: Monika Hey
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sondern muss rituell begleitet werden, unter Anleitung von Medizinmännern und weisen Frauen.
    Vor allem Schwangerschaften sind in traditionellen Gesellschaften schon immer ein existenzielles Geschehen, das mit schützenden Ritualen versehen werden muss. Die Akua’ba-Skulpturen der Ashanti aus Ghana sind bei uns als kunstgewerbliche Objekte bekannt. Diese Holzpuppen mit rundem flachen Kopf, zylindrischem Körper und abstehenden kurzen Armen gelten in Afrika einerseits als weibliche Fruchtbarkeitssymbole, werden aber traditionell auch von schwangeren Ghanaerinnen auf dem Rücken getragen. Um ein schönes gesundes Kind zu bekommen, wird die Akua’ba-Puppe von der Schwangeren rituell gewaschen und liebevoll umsorgt. Auch in unserem Kulturkreis begleitete man Schwangerschaft und Geburt lange Zeit mit schützenden Ritualen. So heißt es in einem italienischen Frauengebetbuch aus dem 18. Jahrhundert:
    Möge es dein Wille sein, Ewiger, mein Gott und Gott meiner Vorfahren, dass du in deiner großen Barmherzigkeit die Frucht in meinem Leib zu einem gesunden Kind heranreifen lässt, dass es gerecht sei, fromm, heilig und zum Segen. 18
    Heute werden religiöse oder gesellschaftliche Rituale in unserer Kultur kaum noch bewusst praktiziert. Eine Forschungsgruppe in Göttingen stellte jedoch 1998 im Rahmen einer empirischen Studie fest, dass die bei uns in der Schwangerschaft übliche Pränataldiagnostik, ungeachtet ihrer medizinischen Bedeutung, auch einen verborgenen rituellen Sinn hat. Er ist den Beteiligten so kaum bewusst, obwohl er die Untersuchungsverfahren nachweislich stark prägt. 19
    Nach Analyse der Wissenschaftler arrangieren sich werdende Eltern und der betreuende Arzt beim Thema Pränataldiagnostik in einer Art stillschweigendem Abkommen. Mögliche Konsequenzen der Pränataldiagnostik werden in der Verständigung zwischen Arzt und Patientin meistens ausgeblendet. Unausgesprochen befinden sich alle Beteiligten in einer Abwehrhaltung. In einem Prozess von Verleugnung und Verdrängung, von Nicht-wirklich-wissen-Wollen und dem Vorenthalten von Informationen. Einer Abwehrhaltung, um der im Grunde unmöglichen Entscheidung über Leben und Tod des ungeborenen Kindes aus dem Weg zu gehen. Ein vorübergehend funktionierender Selbstschutz.
    Bei fast allen Schwangeren löst das Thema Pränataldiagnostik ambivalente Gefühle aus. Gemessen an der Bedeutung und der Häufigkeit, mit der diese Untersuchungen in Anspruch genommen werden, ist das Wissen der meisten Frauen darüber jedoch auffällig gering. Übrigens unabhängig von ihrem Bildungsstand, wie eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ( BZ g A ) feststellte. Trotzdem wünschen sich nicht einmal zwei von zehn Schwangeren mehr Informationen über dieses Thema zu Beginn ihrer Schwangerschaft. 20
    Zu einer eigenständigen und vertretbaren Entscheidung der Frau für oder gegen Pränataldiagnostik kann es so kaum kommen. Aber warum wollen Frauen der unangenehmen Auseinandersetzung mit dem Thema Pränataldiagnostik aus dem Weg gehen und gleichzeitig die Untersuchungen in Anspruch nehmen?
    Der mögliche tiefere Sinn eines derartigen Umgangs mit dem ethischen und psychischen Konfliktpotenzial von vorgeburtlicher Diagnostik erschließt sich, wenn man die Schwangerschaft aus ethnologischer Perspektive, also im Vergleich mit fremden Kulturen, betrachtet. So, wie es etwa die Göttinger Medizinsoziologen in ihrer bereits erwähnten Studie getan haben.
    In wohl allen Kulturen hat diese Lebensphase einen besonderen Status, gilt als ein bedeutender Lebensabschnitt, der für die Schwangere meistens auch mit Angst und Unsicherheit verbunden ist. Die Schwangere ist potenziell gefährdet und äußerst schutzbedürftig. Weil sogar sehr selbstbewusste Frauen Rituale und stärkende Begleitung in einem Lebensabschnitt der Wandlung und Unsicherheit brauchen, lassen sich auch sonst selbstverantwortlich handelnde Frauen bereitwillig auf die von Arzt und Ärztin vorgeschlagenen Maßnahmen ein, ohne sie kritisch zu prüfen. Sie überlassen sich der Führung von medizinischen Fachleuten.
    Betrachtet man Schwangerschaft als existenzielle Phase des Übergangs, die besonderer Riten bedarf, um gut auszugehen, so kann man die Pränataldiagnostik als ein Ritual interpretieren, um bestehende Ängste in der Schwangerschaft zu bewältigen. Mit anderen Worten: Hochleistungsmedizin als Abwehrzauber.
    In diesem Sinne könnte man die umfangreichen Hoffnungen, die heute auf die medizinische
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