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Mein glaeserner Bauch

Mein glaeserner Bauch

Titel: Mein glaeserner Bauch
Autoren: Monika Hey
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desto mehr empfand ich meine Situation als Privileg. Noch konnte ich mich entscheiden. Auch fürs Alleinsein. Ich hatte nicht ein Kind auf dem Schoß, dem ich alle Aufmerksamkeit schenken musste, sondern ein Buch.
    Aber ich spürte, ich wäre auch gern Mutter. Hoffentlich reichte die Zeit.

B ei Klaus merkte ich schnell, dass er meine etwas verschütteten weicheren Seiten zu neuem Leben erweckte. Diesmal war alles anders. Mit ihm wollte ich ein Kind. Die Vorstellung, Vater zu werden, war ihm zunächst jedoch nicht ganz geheuer.
    Manchmal frage ich mich, wie viele Männer und Frauen es eigentlich in meiner Generation gibt, die sich scheuten, Kinder in die Welt zu setzen. Die sich viel zu lange nicht reif, nicht erwachsen genug, der Aufgabe nicht gewachsen fühlten, Verantwortung für eigene Kinder zu übernehmen. Die sich ein gelingendes Leben mit Kindern irgendwie nicht vorstellen konnten.
    Ich kenne viele Menschen, die kinderlos geblieben sind. Vielleicht sind wir als Nachkriegskinder sogar stärker als andere rückwärtsgewandt, oft ohne es selbst so recht zu merken. Haben uns unbewusst für die intensivere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit entschieden. Und hatten auch deshalb vielleicht nicht oder nicht rechtzeitig den Mut und die Kraft für eigene Kinder.
    Kinderlosigkeit aufgrund diffuser Zukunftsängste. Innere Bilder, die manche erst wie zu klein gewordene Kinderschuhe ablegen mussten und die oft mehr mit unverarbeiteten Kriegserlebnissen der Eltern als mit eigener Unfähigkeit zu tun hatten. Wer weiß denn schon, wie viele Menschen aus der Nachkriegs- und Kriegsenkelgeneration als Kinder unangemessene Schuldgefühle und Zukunftsängste entwickelten, die dann später die eigene Elternschaft verhinderten. 7 Doch ohne moderne Verhütungsmittel wäre dies vielleicht weniger offensichtlich geworden.
    Ich hatte mir selbst erst spät meinen Kinderwunsch eingestehen können. Darum war es auch besonders schmerzlich für mich, dass ich nicht schwanger wurde, nachdem der Entschluss getroffen war und Klaus längst zugestimmt hatte. Sogar die Möglichkeit einer In-vitro-Befruchtung hatte ich intensiv mit ihm diskutiert, als sich mein Kinderwunsch nicht erfüllte und andere Paare diesen medizinischen Weg schon hoffnungsvoll in sogenannten Reproduktionskliniken beschritten.
    Dass ich einmal eine künstliche Befruchtung in Erwägung ziehen könnte, hätte ich früher nicht erwartet. Damals, in den siebziger Jahren, als man zum ersten Mal von Retortenmüttern und Retortenbabys hörte und Freundinnen herumblödelten, ob im Reagenzglas gezeugte Kinder anstelle eines Bauchnabels wohl eine Glasmurmel hätten.
    Inzwischen schien es mir eine ernst zu nehmende Alternative. Ein Hoffnungsschimmer in meinen monatlichen Phasen der Enttäuschung. Wenn ich wieder einmal feststellen musste, dass ich immer noch nicht schwanger war. Das Orwel l ’sche an den verschiedenen Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung befremdete mich zwar selbst auch ein wenig, aber vor allem Klaus war entschieden dagegen. Er wollte der Natur nicht ins Handwerk pfuschen, wie er es nannte.
    Schließlich gab ich auf, versuchte mich mit meiner Kinderlosigkeit abzufinden und meinem Leben eine neue Richtung zu geben. Die Diskussionen über Einschaltquoten im Fernsehen, dem immer wichtiger werdenden Thema an meinem Arbeitsplatz, hatten längst begonnen, mich zu langweilen. Da hatte ich schließlich die Idee, meine Redaktionsarbeit auf eine halbe Stelle zu reduzieren, um mich beruflich weiterzubilden. Am letzten Tag vor dem Weihnachtsurlaub hatte ich endlich die Zustimmung der Personalabteilung bekommen und war erleichtert in Skiurlaub gefahren.
    »Ich weiß, warum du das machst«, hatte ein lieber, schwuler Kollege orakelt, als er mir für das neue Jahr Glück wünschte. »Du willst Mutter werden.« Die Bemerkung berührte mich in einem versteckten Sehnsuchtswinkel meines Herzens, denn ich hatte diesen Wunsch längst traurig aufgegeben.
    Ende Februar fuhr ich noch einmal zum Skilaufen, diesmal mit meinem Bruder. Klaus musste arbeiten. Entspannt und guter Laune kam ich zurück. Mein neues Leben gefiel mir, es war eine kreative und fruchtbare Zeit. Irgendwann um Ostern herum nistete sich mein Kind in meine Gebärmutter ein. Und hatte sich bis zur neunten Woche unbemerkt in meinem Inneren entwickelt.

    Der Anteil der sogenannten Spätgebärenden hat sich in den letzten drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Inzwischen ist fast jede vierte aller Schwangeren über
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