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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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Boden. Danach versuchte ich, ihn zu trösten, legte ihm den Arm um die Schultern und sagte ihm, wie leid es mir für ihn tue, konnte aber gleichzeitig nur daran denken, wie schlimm es für ihn sein musste, die geliebte Stunde mit seinen Eltern zu verlieren. Doch dann verkündete Cathy mir, dass auch meine Eltern nicht mehr zur Familienzeit heimkommen würden.
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich trotzig, aber als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass ich meine Eltern in den letzten Monaten immer seltener gesehen hatte. Während meine Mom auf Reisen war, hatte mein Vater unter der Woche immer seltener in unsere Wohnung kommen können. Und Cathy erklärte mir, dass diese Trennung nun offiziell war.
    Wie sich herausstellte, waren meine Eltern bereits versetzt worden, ohne dass ich es bemerkt hatte. Die Verfügung einer Reihe neuer Verhaltensmaßregeln der Church beschnitt rigoros die Zeit, die Sea Org-Mitglieder mit ihrer Familie verbringen durften. So durften Sea Org-Ehepaare auch keine Kinder mehr bekommen. Wenn eine Frau in der Sea Org dennoch schwanger wurde, musste das Paar die Sea Org verlassen und in eine andere Mission gehen, was faktisch einer Degradierung gleichkam. Dort arbeiteten sie weiterhin für Scientology, doch erst wenn das Kind sechs Jahre alt war, konnten sie zurück zur Sea Org, und zwar nur mit einer neuen Bewerbung. Für Sea Org-Mitglieder, die bereits Kinder hatten, gab es auch Veränderungen. Ein Vorteil war, dass die Kinder jetzt in besseren Einrichtungen und Schulen untergebracht wurden, doch der Nachteil bestand darin, dass die abendliche Familienzeit praktisch gestrichen war und Kinder, die älter als sechs waren, in Internate kamen, die in der Nähe von Sea Org-Stützpunkten lagen.
    Onkel Dave hatte sich diese Verhaltensmaßregeln zwar nicht ausgedacht, wusste aber ganz sicher davon. Ohne seine Billigung hätten sie niemals in Kraft treten können. Es ist schwer zu sagen, warum er sie zuließ. Eine Rolle spielte bestimmt, dass er selbst keine Kinder hatte; ich war immer überzeugt, dass er sich bewusst gegen Kinder entschieden hatte, da er Tante Shelly schon vor diesen Maßnahmen geheiratet hatte. Vielleicht sah er bei anderen Sea Org-Mitgliedern, wie viel Zeit, Arbeit und Energie Kinder in Anspruch nahmen. Höchstwahrscheinlich lag es jedoch daran, dass Kinder ihre Eltern nur ablenkten und diese somit weniger leistungsfähig und hingebungsvoll der Church dienen konnten.
    Ich habe nie daran gezweifelt, dass meine Eltern mich liebten. Ich akzeptierte, dass die Zeit, die sie für mich hatten, extrem begrenzt war. Selbst jetzt, wenn ich im Rückblick ihre Hingabe für die Church betrachte, zweifle ich nicht daran, dass die scientologischen Lehren der Grund waren, warum sie stets ihre Familie zurückstellten. In vielerlei Hinsicht opferten sie ihre Familie für das, was die Church als das höhere Wohl bezeichnete. Bei Scientology hieß es: »Das größte Wohl für die größte Anzahl an Dynamiken«, was bedeutete: Wenn Scientologen Entscheidungen trafen, nutzten sie ein grundlegendes scientologisches Prinzip namens Dynamics of Existence – Dynamiken der Existenz –, um genau festzulegen, wem und was jede Entscheidung nutzen würde. Es gab acht angeblich gleich wichtige Dynamiken:
    1. Das Selbst
    2. Familie, Kinder und Sex
    3. Gruppe
    4. Menschheit
    5. Pflanzen und Tiere
    6. Universum: Energie, Materie, Raum und Zeit
    7. Der Geist
    8. Gott oder das höchste Wesen
    Als meine Eltern wieder in die Sea Org eintraten, wussten sie, dass sich ihre Arbeit auf die Dynamiken drei, vier, sechs, sieben und acht konzentrieren würde. Sie glaubten, mit ihrer Arbeit jedem dieser Bereiche zu dienen. Hätten sie sich für ihre Familie entschieden, hätten sie nur der ersten und zweiten Dynamik genutzt. Folglich war es die richtige Entscheidung, der Sea Org beizutreten, denn das nutzte fünf Dynamiken, während die Familie nur zweien nutzte. Diese Entscheidung bot der größten Anzahl an Dynamiken das größte Wohl.
    Tatsächlich bedeutete dieses System nur, dass Familien und Kinder normalerweise nie gegen das höhere Ziel der Kirche ankämpfen konnten. In den meisten Religionen sind Familien und Kinder ein zentraler Bestandteil, bei Scientology hingegen müssen sie geopfert werden. In ähnlicher Weise dienten die langen Arbeitstage und die niedrigen Löhne der Sea Org-Mitglieder dem höheren Wohl von Scientology, und das war richtig, solange man der größten Anzahl von Dynamiken diente, selbst wenn
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