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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Generation das Netz aus narzisstischen Motiven und zur Selbstvermarktung nutzen würde. Facebook dürften diese Ergebnisse nicht gefallen haben, denn sie bescheinigen zwar das rege Teilen von Informationen und damit eines bestimmten Inhalts. Welche Absicht oder Motivation aber genau dahintersteckt, bleibt verborgen, denn das System kann nicht wissen, ob es sich dabeium eine Inszenierung handelt oder um ein authentisches Teilen oder »Liken«. Um die Schwelle des Teilens noch geringer zu gestalten und die dahinterliegende Motivation noch effektiver erkennen zu können, entwickelten Facebook und andere soziale Webdienste Konzepte des sogenannten »frictionless sharing«, des reibungslosen Teilens von Daten. Einer der populärsten Dienste in diesem Bereich ist die schwedische Musikstreaming-Plattform Spotify. Hört ein Nutzer einen Titel mit dem Spotify-Musikplayer, wird das Abspielen nicht nur technisch erfasst, sondern auch mit dem sozialen Netzwerk geteilt. Sichtbar für die befreundeten Nutzer erscheint dann zum Beispiel die Mitteilung »Christian Grasse hat sich Smile (Pictures or It Didn’t Happen) von Amanda Palmer & The Grand Theft Orchestra auf Spotify angehört.« Auf Dauer wissen Spotify und Facebook so mehr oder weniger 100-prozentig genau über den persönlichen Musikgeschmack Bescheid, denn es geht nicht mehr darum, was man behauptet zu mögen oder zu konsumieren, sondern darum, was man tatsächlich getan oder gehört hat. Das Verhalten wird automatisch erfasst, der Musikkonsum automatisch gemessen. Bei der Musikplattform Last.fm wird Nutzern dank dieser Methode zum Jahresende eine ganz persönliche Chartliste erstellt, die Stücke von Künstlern beinhaltet, die man in dem Jahr besonders oft gehört hat, und natürlich kann man die Liste auch per Mausklick mit der digitalen Welt teilen. Aufgrund dieser Datenbasis sind sehr genaue Empfehlungen möglich. Bei dem persönlichen Musikgeschmack allein bleibt es allerdings nicht. Verknüpfe ich das Konto meines digitalen Schrittzählers oder die Jogging-App meines Smartphones mit Facebook, um beispielsweise mit meinen Freunden einenvirtuellen Wettlauf zu veranstalten oder um meine Trainingsfortschritte zu teilen, weiß das soziale Netzwerk auch darüber Bescheid, wann, wo und wie oft ich mich bewege. Dieses Konzept lässt sich auf sämtliche Körper- und Verhaltensdaten übertragen.
    Diese relativ neue körperdatenbezogene Nutzungsrealität kollidiert ganz offensichtlich mit dem traditionellen Bild von Privatsphäre, und in einigen Fällen sogar mit der derzeitigen gesetzlichen Grundlage. Die psychologische Brisanz besteht darin, dass ein Nutzer zwar bei der Anmeldung bei einem Webdienst einmalig einer Nutzungs- und Datenschutzbestimmung zustimmt – vorausgesetzt, die wird überhaupt gelesen –, aber in der alltäglichen Nutzung wird schlicht vergessen, dass eine ständige Erfassung des Selbst stattfindet. Ohne dass wir es merken, digitalisiert uns das Netz. Wir lassen uns scannen wie ein Buch und landen als Teil der Datenwolke unsterblich im digitalen Weltnetzwerk. Und gerade die automatisch und unbewusst erhobenen Nutzerdaten sind für die werbe- und aufmerksamkeitsvermittelnden Unternehmen wie Facebook und Google so interessant und wertvoll, denn die geteilten Daten sind im hohen Maße unverfälscht und authentisch. Insofern sind Vertrauen (auf die Echtheit der vermittelten Daten) und die vermittelte Aufmerksamkeit die wirklich wichtigen Werte im Netzzeitalter. Offensichtlich bei dieser wirtschaftlich getriebenen Werteausrichtung ist eine wachsende Kluft zwischen Technologie und Gesellschaft, die sich in den endlosen Debatten rund um die Themen Privatsphäre und Datenschutz im Internet ablesen lässt. Fast scheint es, als seien manche technischen Errungenschaften rund um die Digitalisierung grundlegend inkompatibel zur aktuellen Konfiguration unserer Gesellschaft. Deshalb drängen die großen Webunternehmen auf eine neue, technisch initiierte, sozialere Ausrichtung der Welt. Vielleicht könnte man in Google und Facebook sogar gesellschaftliche Innovationsmotoren sehen. Ob diese Ausrichtung in eine bessere Zukunft führt, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
    Fest steht zumindest, dass unser Verhalten bzw. die Daten, die unser Verhalten und unseren Körper digital widerspiegeln, eine immer größere Rolle spielen. Im Netz zur Schau gestellte Aktivitäten erzeugen eine neue Form des sozialen Rangs, der zwar
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