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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Autoren: Bill Bryson
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nicht qualifiziert, überhaupt etwas zu machen.«
    »Na, dann muss ich wohl Highschool-Berufsberater werden!« , witzelte ich leichthin, doch leider kam es bei Mrs. Smolting nicht so gut an. Sie führte mich ab ins Amtszimmer des Direktors – mein zweiter Besuch in einem Halbjahr! – und brachte eine offizielle Beschwerde gegen mich vor.
    Ich musste einen zutiefst unterwürfigen Entschuldigungsbrief schreiben und meine überbordende Wertschätzung für Mrs. Smolting und ihren hochqualifizierten, fürsorglichen Beruf bekunden, ehe ich mit dem letzten Jahr weitermachen durfte. Und da ging es wirklich um was, denn zu der Zeit, im Jahre 1968, war das Einzige, was zwischen den eigenen Weichteilen und einer Kugel des Vietcong stand, das US-amerikanische Schulsystem, weil es einem automatisch Aufschub vor der Einberufung gewährte. 1968 war ein Viertel der jungen Männer in den Vereinigten Staaten in den Streitkräften. Fast der gesamte Rest war in der Schule, im Gefängnis oder George W. Bush. Für die meisten Jungs war die Schule die einzige realistische Möglichkeit, dem Militärdienst zu entgehen.
    Mit einer seiner letzten, aber auch gefeiertsten Amtshandlungen verwandelte Thunderbolt Kid Mrs. Smolting in einen kleinen, harten verkohlten Klumpen der Sorte, die Leuten in der Eisenverhüttungsindustrie als Schlacke bekannt ist. Dann gab er seinen sorgsam abgefassten Entschuldigungsbrief ab, setzte sich ein paar Monate immer mal wieder auf den Hosenboden und machte den Abschluss unauffällig am unteren Ende seiner Klasse.
    Im folgenden Herbst immatrikulierte er sich an der Drake University in Des Moines. Doch nach ungefähr einem Jahr halbherziger Bemühungen dort ging er nach Europa, ließ sich in England nieder – und danach ward kaum wieder etwas von ihm gehört.

XIV

Abschied

    Eugene Cromwell, der mit seinem Auto von einem Highway in Milwaukee abkam, aber nicht verletzt wurde, stieg aus, um den Schaden zu begutachten, und fiel in einen 15 Meter tiefen Kalksteinbruch. Dabei erlitt er einen Armbruch.
Time , 23. April 1956

    Bild 6
    W ährend meiner gesamten Jugend rief uns unser Vater in regelmäßigen Abständen ins Wohnzimmer und fragte uns, was wir von einem Umzug nach St. Louis oder San Francisco oder in eine andere Spitzenstadt hielten. Der Chronicle oder der Examiner oder der Post-Dispatch , teilte er uns feierlich mit, habe gerade seinen Baseballreporter verloren – bei ihm klang es immer so, als sei der Mann, wie ein Pilot im Zweiten Weltkrieg, nicht von einer Mission zurückgekehrt – und biete ihm den Posten an.
    »Das Geld ist auch nicht übel«, sagte er immer mit einem Ausdruck ehrlicher Verblüffung, als sei er überrascht, dass man dafür bezahlt wurde, wenn man regelmäßig Major-League-Baseballspiele besuchte.
    Ich war immer für einen Umzug. Als ich klein war, fand ich die Vorstellung reizvoll, dass mein Dad in einem Bereich arbeitete, wo die Leute offensichtlich von Zeit zu Zeit verloren gingen. Später war es mehr der Wunsch, den Rest meiner Jugend an einem Ort zu verbringen – egal, wo –, wo der Tagespreis für Mastschweine nicht als Top-Nachricht galt und die Erträge der letzten Maisernte nie erwähnt wurden.
    Doch es kam nie dazu. Letztendlich befanden meine Eltern immer, dass sie in Des Moines zufrieden waren. Sie hatten beim Register gute Jobs und ein schöneres Haus, als wir es uns in einer großen Stadt wie San Francisco hätten leisten können. Unsere Freunde waren hier. Hier waren wir heimisch. Des Moines fühlte sich an wie unser Zuhause. Es war unser Zuhause.
    Jetzt, da ich älter bin, bin ich froh, dass wir nicht weggezogen sind. Schließlich fühle ich mich selbst dem Ort schon mein ganzes Leben lang verbunden. Jedes bisschen formaler Ausbildung, das ich je bekommen habe, jede prägende Erfahrung, jeder Zentimeter meines körperlichen Höhenwachstums fand in dieser anständigen, freundlichen, wohlwollenden Umgebung statt.
    Natürlich existiert von dem Des Moines, wie ich es kannte, nicht mehr viel. Es veränderte sich ja schon, als ich in die Pubertät kam. Die alten Kinopaläste im Stadtzentrum verschwanden mit als Erstes. Zum Beispiel wurde das Des Moines Theater, dieser wundervolle Prachtbau, 1966 abgerissen, um Platz für ein Bürohochhaus zu machen. Bis ich eine Geschichte Des Moines’ für dieses Buch las, war mir nicht klar, dass es nicht nur das schönste Kino der Stadt war, sondern wahrscheinlich das schönste Kino überhaupt, das zwischen Chicago und der Westküste
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