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Mein 24. Dezember

Mein 24. Dezember

Titel: Mein 24. Dezember
Autoren: Achim Bröger
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verwirrt und verstehe gar nichts mehr. Sie sind ja sonst wirklich ziemlich normale, nette Leute. Aber heute ist irgendeine Schraube bei ihnen locker.
    Eigentlich hat das schon vor ein paar Tagen angefangen. Auf einmal wurden sie alle sehr aufgeregt. Dann sind sie nicht mehr zur Schule und zur Arbeit gegangen. Wahrscheinlich ist es irgendwas mit den Nerven. Etwas sehr Ansteckendes.
    Glücklicherweise habe ich eine Idee. Zum Baumanzünden brauchen sie doch garantiert diese kleinen Hölzchen mit rotem Kopf, die sie aus einer Schachtel nehmen. Streichhölzer nennen sie die.
    Ich weiß genau, wo sie liegen. In der Küche, und zwar im offenen Schrank links neben der Tür. Tja, das mit dem Baumanzünden fällt wohl aus, meine Herrschaften. So einen Blödsinn macht ihr nicht, wenn ich das nicht will. Unauffällig pirsche ich in die Küche. Wirklich, da liegen die Streichhölzer ganz ordentlich, zwei Schachteln. Schon habe ich sie mir geschnappt.

Ein sehr, sehr seltsamer Tag 
    Die Streichhölzer findet garantiert niemand mehr. Eine Schachtel habe ich sehr vorsichtig in der Erde vom Blumentopf-Gummibaum eingebuddelt. Danach habe ich die Erde wieder glatt gestrichen. Es fällt überhaupt nicht auf, dass da was vergraben wurde. Die zweite Schachtel liegt unter dem Teppich hinterm Sofa. Bis dorthin kommt kein Mensch, nicht mal mit dem Staubsauger. Das sieht man deutlich. Da liegt nämlich jede Menge Staub.
    Na ja, jetzt ist er wenigstens nicht mehr alleine, der Staub.
    Am Baum wird hier jedenfalls nicht gezündelt. Leider läuft meine Familie immer noch sehr aufgeregt herum. Was tue ich bloß, damit sie etwas ruhiger werden? Ob ich dem Papa einen großen Knochen bringe? Mich beruhigt die Kauerei sehr. Jawohl! Papa soll den Knochen zum Knabbern haben, sogar meinen Lieblingsknochen. Ich hole ihn unterm Sofakissen vor. Da habe ich ihn versteckt. Hm, das Kissen riecht jetzt schon fast so gut wie mein Knochen.
    Ich lege den Knochen neben den Baum, an dem der Papa immer mehr Kugeln aufhängt. So ein schöner Knochen, Papa! Guck! Vorsicht! Du sollst gucken! Nicht noch mal stolpern, Großer. Schon passiert. . . und direkt über meinen Knochen. Der Papa schimpft sofort irgendwas von einem unmöglichen Köter. Ich glaube, der meint mich. »Köter!«, hat er gesagt. Hm . . . das überhöre ich doch glatt. Beleidigt greife ich mir den Knochen und verschwinde unter dem Sofa. Das Knabberding kriegt er nicht. Hat er gar nicht verdient.
    Vielleicht sollte ich meine Familie rausschicken? Frische Luft beruhigt.
    Ich renne zur Wohnungstür und jaule. Dann wissen sie, ich muss Gassi. Dabei muss ich jetzt eigentlich gar nicht. Aber sie sollten rausgehen. Unbedingt sogar. Vor allem der Papa und die Mama.
    Für die zwei ist das sowieso sehr wichtig, mit mir rauszugehen, fällt mir ein. Wenn wir draußen sind, bücken sie sich nämlich immer nach Stöckchen. Die werfen sie dann in der Gegend herum. Ich bringe sie ihnen sofort zurück, damit sie sich noch mal bücken können. Das ist gesund für sie. Gymnastik. Komisch, sie glauben, glaube ich, dass das Stöckchenholen wichtig für mich wäre. Naja . . . meinetwegen sollen sie das glauben. Warum kommen sie denn nicht? Ich jaule noch mal vor der Wohnungstür. Aus der Küche höre ich ein Geräusch. Und wen sehe ich da? Die Mama. Und was tut sie? Sie schneidet sich so was Ähnliches wie Brot ab. Ganz dick. Stollen nennt sie es. Mit guter Butter, sagt sie immer dazu. Den Stollen futtert sie ziemlich gierig. Ich weiß genau, was jetzt kommt.
    Ich kenn sie doch, die Mama.
    Jawohl, sie säbelt sich noch so ein Stück »mit guter Butter« ab. Dann guckt sie an sich runter, Richtung Bauch, seufzt und sagt: »Das ist mein Verderben.«
    Ich habe in letzter Zeit oft gesehen, wie sie Stollen futtert und seufzt, dass das ihr Verderben ist. Immer wieder steigt die Mama danach auf die Waage und stöhnt. Ich habe den Stollen auch mal probiert. Mein Geschmack ist er nicht. Die drei Kinder essen mal ein bisschen davon, aber Mama nascht am meisten. Papa sagt: »Sie teilt den Stollen genau. Die Hälfte für sich. Die andere Hälfte für den Rest der Familie.«
    Sie mag wohl nicht, dass sie vom Naschen dicker wird. Das wird sie aber. Rundum. Ehrlich, ich find's ja schön. Für mich sieht sie rundlich irgendwie . . . hm . . . schmackhafter aus. Nach guter Butter und nicht so sehr nach dünnem Knochen. Genau.
    Sie selbst gefällt sich zur Zeit leider nicht, wenn sie sich im großen Spiegel ansieht. Also . . . wenn ich zu
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