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Mein 24. Dezember

Mein 24. Dezember

Titel: Mein 24. Dezember
Autoren: Achim Bröger
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schaurig kalt. Leider muss ich. Der Papa ist heute unmöglich. Vorsichtig lege ich mich auf den kalten Boden, da höre ich ihn schon wieder: »Also, wer hat den Ständer für den Baum unterm Sofa versteckt?«

    Ach so, das geschmacklose grüne Ding war der Ständer für den alten Baum. Jetzt habe ich schon wieder was gelernt. Ich liege da und spitze die Ohren. Vielleicht gibt's hier noch mehr zu lernen. Aus den Zimmern der Kinder poltert es mächtig. Die hämmern auf irgendwas herum. Aber vor allem riecht es überall ganz unverschämt gut nach großem Vogel. Der Duft kommt aus der Küche. Gesehen habe ich den duftigen Vogel auch schon. Die Mama hat ihn reingetragen. Ein Riesending und ohne Federn. Eigentlich ist das ungerecht, denke ich mir. Ich darf nämlich keine Vögel jagen und schnappen, nicht einmal einen kleinen. Das haben sie mir streng verboten. Wenn ich's doch tue, komme ich sofort an die Leine. Wirklich, ich habe das schon oft erlebt. Aber die holen sich einfach einen. Ob die Mama höchstpersönlich hinter ihm hergerannt ist und ihn geschnappt hat? Das hätte ich ja zu gerne gesehen. Danach hätte ich die Mama zur Strafe an die Leine genommen. Und ganz kurz hätte ich die Leine gehalten, damit die Mama nicht gleich noch mal hinter einem Vogel herrennt.
    Wumm!, wird die Badezimmertür aufgestoßen. Ich springe gerade noch weg. 
    Die sind heute so unvorsichtig, diese Tierquäler. Der Kleinste rast ins Badezimmer. Er wäscht seine Hände. Ob er spielen mag? Ich stupse ihn mit der Schnauze ins Knie und renne ein paar Schritte weg. Meistens rennt er hinter mir her, wenn ich das tue. Heute murmelt er nur: »Keine Zeit. Ich muss noch was fertig machen. Und dann will ich die Schuhe putzen.« Er will die Schuhe putzen! Oh . . . der ist wahrscheinlich irre geworden. Schuhe putzen . .. und das freiwillig. Er hat auch so einen seltsam roten Kopf und so ein komisches Glitzern in den Augen. Genau wie damals, als er krank war. Und da flitzt er schon wieder raus. Ich renne hinter ihm her. Er verschwindet in seinem Zimmer und im nächsten Augenblick schließt er es ab.
    Was soll denn das? Hat er Angst vor irgendwas? Jetzt kommt Susanne, die Zweitälteste, aus ihrem Zimmer. Es war auch abgeschlossen. Was ist bloß mit den Kindern los? Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben. Ich passe schon auf, dass sie nicht geklaut werden.
    Ich muss unbedingt nachdenken, was das alles bedeuten soll.
    Ein Baum im Zimmer?
    In der Küche ein großer Vogel?
    Gebäckduft?
    Alle laufen aufgeregt hin und her und flüstern miteinander.
    Sie schließen die Türen ab.
    Der Kleinste putzt die Schuhe, freiwillig!
    Da fällt mir noch ein, dass die Mama gestern das Haus geputzt hat. Und der Papa hat lauter Päckchen aus dem Auto geholt.
    Ach ja . . . Mama war einkaufen. Und wie! Als würde morgen eine Hungersnot beginnen.
    Vielleicht gibt es ja auch keine Läden mehr. Wer weiß.
    Noch etwas ist mir aufgefallen. Das Telefon klingelt dauernd. Die Großen rennen hin und sagen in den Apparat: »Wir wünschen euch besinnliche Tage.«
    Dann legen sie den Hörer auf und rasen wieder los, überhaupt nicht ruhig. Im Gegenteil. Wie aufgezogen. Oder als müssten sie immer ganz schnell aufs Klo.
    Da liegt was in der Luft. Ich rieche das richtig.
    Jetzt bin ich fast ein Dreivierteljahr alt, aber so eine Aufregung und so ein Durcheinander habe ich bei uns bisher wirklich nie erlebt. Ich kann mir einfach nicht erklären, warum das so hektisch zugeht.

Ein sehr seltsamer Tag 
    Aus dem Wohnzimmer höre ich laute Stimmen. Der Papa und die Mama streiten. Das ist immer sehr interessant. Nichts wie hin! Durch die geöffnete Zimmertür sehe ich sofort, dass sich die beiden um den Baum streiten. Will den jeder von ihnen haben? Dann sollen sie ihn doch gerecht teilen. Das empfehlen sie den Kindern auch, wenn die sich um irgendwas Schönes streiten.
    Ne, es geht wohl doch um etwas anderes, denn der Papa sagt aufgeregt: »Hierhin kommt er! Da war er auch im letzten Jahr!« Er zeigt vor den Fernsehapparat und schleppt den Baum zu der Stelle.
    Komisch, sie hatten den Baum im letzten Jahr schon.
    Die Mama widerspricht: »Nein, hierhin kommt er!« 
    Energisch zeigt sie vor die Musiktruhe und schleppt das Nadelding dorthin. »Aua! Der pikt!«, sagt sie auch noch.
    Sie ziehen den Baum hin und her, der Papa und die Mama. Irgendwie sieht das fast so aus, als würden sich zwei meiner Kollegen um einen besonders guten Knochen zanken. Ob ich mich einmische?
    Nicht mehr nötig.
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