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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen
Autoren: Patricia Schröder
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Jungs nicht
und die Mädchen waren ja ohnehin ausnahmslos den Delfinen
verfallen … Alle außer Ruby natürlich.
    Für einen Moment setzte mein Herzschlag aus, doch in der
nächsten Sekunde hatte ich den Gedanken schon wieder verworfen.
Nein, das konnte unmöglich sein. Ruby war ein ganz
normales Mädchen.
    Allerdings ließ der Umstand, dass Cyril nicht der einzige
Hainix auf dieser Insel war, die Ereignisse der vergangenen
Nacht in einem völlig neuen Licht erscheinen.
    »Jemand ist in meinem Zimmer gewesen«, hörte ich mich
sagen.
    »Was?«, hauchte Cyril. »Wann?«
    »Heute Nacht, als ich schlief«, sagte ich. »Wahrscheinlich
war es einer deiner Hai-Kumpel, die du nicht verraten willst«,
setzte ich provozierend hinzu.
    »Unsinn«, wiegelte er sofort ab. »Das ist völlig ausgeschlossen.
«
    »Wieso?«
    Cyril stöhnte leise. »Weil es nun mal so ist«, erwiderte er. »Es
muss ein Delfin …«
    Ich ließ ihn nicht ausreden. »Okay, Tatsache ist: Ich habe
ihn nicht erkannt. Er kam in meinen Traum. Er hat mich geküsst
…«
    Cyril runzelte die Stirn. »Im Traum?«
    »Nein, das hat er tatsächlich getan.« Bei der Erinnerung
daran sträubten sich mir die Nackenhaare. »Ich glaube, er
wollte mich ertränken.« Ich geriet ins Stocken. »Jedenfalls war
das ganze Bettzeug nass, als ich aufwachte.«
    Um Cyrils Mundwinkel zuckte es. Er hob den Blick über
mich hinweg und fixierte einen Punkt irgendwo in der Ferne.
»Es könnte auch eine Warnung gewesen sein«, murmelte er.
    Ich wollte etwas entgegnen, ihn fragen, wie er das meinte,
aber da war er bereits von seiner gedanklichen Reise zurückgekehrt
und sah mir nun fest in die Augen. »Du darfst Gordian
nicht wiedertreffen«, presste er eindringlich hervor. »Ich flehe
dich an, versuch, ihn zu vergessen, Elodie. Bitte!«
    Ich starrte ihn an und wunderte mich darüber, dass er schon
wieder so dicht bei mir stand.
    »Das kann ich nicht, Cyril«, fing ich an zu stammeln. »Ich …«
    Weiter kam ich nicht. Cyrils Hände hatten sich um meinen
Nacken gelegt. Sein Daumen strich mir sanft über die Wange,
das Kinn und die Unterlippe, und sein dunkler Blick drang
so tief in mich ein, dass ich ihn in meinem Herzen zu spüren
glaubte.
    »Verzeih mir«, flüsterte er. »Bitte verzeih mir.« Und dann
küsste er mich.
    Seine Lippen waren fest und fordernd, seine Zunge tastete
voller Verzweiflung nach meiner. Und ich? – Ich ließ es nicht
nur geschehen, ich erwiderte diesen Kuss sogar. Ich tat es, obwohl
ich wusste, dass es ein Fehler war. Genauso wie daheim
auf meiner Abschiedsparty in Lübeck gingen auch jetzt meine
Sinne mit mir durch, und ich schaffte es einfach nicht, sie
unter Kontrolle zu bringen.
    Cyril ließ seine Wärme unaufhaltsam in mich einströmen
und Bilder von unserem ersten Zusammentreffen am Strand,
unserem gemeinsamen Abend in St Peter Port und der Überfahrt
nach Sark zogen an mir vorbei – und viel zu spät wurde
mir klar, dass an diesem Kuss wirklich alles falsch war.

Mit aller Kraft stieß ich Cyril von mir weg. Ich hörte ihn stöhnen,
dann ertönte ein Schlag, Cyril stürzte zu Boden, und ehe
ich kapierte, was hier vorging, packte mich jemand und warf
mich über seine Schulter.
    Ich sah samtbraune Haut, ein silbrig schimmerndes Tuch,
das sich um ein wohlgeformtes Hinterteil spannte, und zwei
hübsche Füße, die über den feuchten Sandstrand rasten. Sein
betörend frischer Duft drang in meine Nase und füllte meine
Lunge.
    Selig schlang ich die Arme um seine Taille, schmiegte meine
Wange an seine Haut und spürte das geschmeidige Spiel seiner
Rückenmuskeln, während unter mir Sand, Felsen, Erde
und Gras vorbeiflogen.
    Ich war so trunken vor Glück darüber, dass er am Leben
und zu mir zurückgekommen war, dass ich mir nicht einen
Gedanken mehr um Cyril machte. Unser Kuss, noch nicht
einmal eine Minute her, war wie ausgelöscht.
    Erst als Gordy das Grundstück meiner Großtante erreichte,
den Balkon vor meinem Zimmer erklomm und mich dort unsanft
zu Boden ließ, kam ich allmählich wieder zu mir.
    Gordians türkisgrüne Augen glänzten feucht und sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er sah aus, als hätte man ihm das Herz aus der Brust gerissen.
    »Was hast du dir nur dabei gedacht!«, fuhr er mich an.
    Er sprach nicht besonders laut, viel zu laut jedoch für das
menschliche Gehör. Seine kräftige dunkle Stimme erfasste
jede Faser meines Körpers, hob mich von den Füßen und
katapultierte mich gegen das Fensterglas. All das geschah im
Bruchteil einer
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