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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen
Autoren: Patricia Schröder
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Sekunde.
    Die Scheiben vibrierten und einen quälend langen Moment
war ich unfähig zu atmen. Den Schmerz in meinem Rücken
spürte ich kaum, ich sah nur Gordys Augen, die nun funkelnd
vor Zorn und Enttäuschung in fliegendem Rhythmus den
Farbton wechselten. Um seinen Mund zuckte es und er zitterte
am ganzen Körper. Zum ersten Mal wurde mir bewusst,
wie überlegen, wie unkontrolliert, wie gefährlich er war. Und
trotzdem: Ich war mir absolut sicher, ganz gleich wie wütend
er auch sein mochte, er würde mir nie, niemals wirklich etwas
antun.
    Außerdem hatte
ich
den Fehler gemacht. Ich ganz allein.
    Tränen schossen mir in die Augen. Ich wollte Gordian um
Verzeihung bitten, aber ich brachte kein Wort über die Lippen,
sondern stand nur da und heulte.
    Gordy fuhr sich durch die Haare und schüttelte wieder und
wieder den Kopf. Schließlich wandte er sich um und sprang
über das Geländer in den Garten hinunter.
    Nein, schrie alles in mir. Nein, nein, nein! Wenn er jetzt
ging, wenn er mich so in Erinnerung behielt, wenn das hier,
dieses kurze Wiedersehen, unsere letzte Begegnung gewesen
sein sollte, würde ich keine Sekunde mehr glücklich sein können.
    Ohne auf meine schmerzenden Knochen zu achten, kletterte
ich ebenfalls über das Balkongeländer und ließ mich einfach
in die Tiefe fallen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ich
das schon einmal getan, ich war also gewissermaßen in Übung,
aber auch diesmal kam ich nicht ohne Blessuren davon, schlug
mir das Knie auf und verknackste mir das Ellenbogengelenk.
Doch all das war mir vollkommen egal. Ich musste Gordy erreichen,
bevor er ins Meer abtauchte. Und so stolperte ich blindlings
die Gartenterrassen hinunter und auf die Klippen zu.
    Natürlich war er schneller als ich. Sehr viel schneller. Eben
glaubte ich noch, ihn gesehen zu haben, die wild zerzausten
Locken und seine schöne schlanke Gestalt, die ähnlich einer
Katze über die Felsen sprang, und dann war er auch schon
verschwunden.
    »Gordy!«, krächzte ich. »Gordy!« Meine Lungen dehnten
sich aus und allmählich kam meine Stimme zurück. »Gordy!«,
rief ich, lauter und immer lauter.
    Ich erreichte den großen abgeflachten Felsen, meine Stelle,
unsere
Stelle, aber von Gordian fehlte jede Spur. Die Nordsee
tobte, Gischt sprudelnde Wellen rauschten zu mir herauf und
umspülten meine brennenden Knöchel.
    Der Regen klatschte mir ins Gesicht und der eiskalte Wind
zerrte an meinen Haaren, doch nicht nur deshalb war mein
Vorhaben mehr als verrückt. Aber ich zögerte nicht eine
Sekunde, sondern riss mir die Regensachen vom Leib, zog
Sweater, Chucks und Jeans aus und stürzte mich kopfüber ins
Wasser.
    Der Tidenhöchststand würde erst in einer Stunde erreicht
sein, ich konnte mir also ausrechnen, dass das Meer mich unerbittlich
auf die Klippen zurückwarf.
    So weit ließ Gordy es allerdings nicht kommen. Er war bei
mir, noch ehe ich einen Schwimmzug gemacht hatte, schlang
seine Arme um mich und drückte mich an sich. Ich hielt mich
an ihm fest, legte mein Gesicht in seine Halsbeuge und schlang
zögernd meine Beine um seine Hüften. Meine Haut auf seiner
und um uns herum das tiefblaue Meer – für einen winzigen,
geradezu magischen Augenblick fühlte sich alles hundertprozentig
richtig an, und im nächsten lagen wir bereits keuchend
auf den Klippen.
    Gordy hielt mich noch immer. Ich hatte gemerkt, wie sein
Delfinschwanz sich in Beine verwandelte, wie sein Körper vollständig
wurde und nun der eines Mannes war, und so unpassend
es auch sein mochte, ausgerechnet jetzt an so etwas zu
denken, aber für eine Sekunde wurde mir schwindelig bei der
Vorstellung, dass es hier und jetzt auf unserer Klippe passieren
könnte …
    »Elodie«, flüsterte Gordy. »Hab ich dich nicht gebeten, das
nie, nie wieder zu tun?« Seine Stimme war nun unendlich sanft,
jede einzelne Silbe streichelte mich so zart wie eine Feder.
    »Ich wusste nicht, wie ich dich sonst aufhalten sollte«, erwiderte
ich.
    »Du hättest dich nicht so entblößen müssen«, sagte er bestimmt
und streckte seinen Arm nach meiner Regenjacke aus,
die sich in einer Felsspalte verfangen hatte und geräuschvoll
im Wind flatterte. »Du weißt doch, wie …«
    »Ja, ich weiß«, raunte ich in sein Ohr, während ich seinen
Nacken fest umschlungen hielt. »Allein deine Stimme könnte
mich umbringen.«
    Gordy schluckte. Ich spürte an meinem Hals, wie sein Kehlkopf
sich auf und ab bewegte. »Es tut mir leid, Elodie. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr«, presste
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