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Medinas Fluch

Medinas Fluch

Titel: Medinas Fluch
Autoren: Katja Piel
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immer noch hinter einem Sessel und am liebsten hätte sie ihn angeschrien, um ihre Wut loszuwerden. Da er aber kein Wort sprach, hatte sie keinen Grund ihn anzugreifen. Also bedachte sie ihn mit einem genervten Blick und setzte sich wieder neben Ruth, die sie fragend ansah.
    „Deine Granny hat dich sehr geliebt, Medina“, sagte die Frau sanft.
    Wütend sprang Medina auf und blickte Ruth hasserfüllt an.
    „Ich war acht Jahre! Acht beschissene Jahre alt. Ein kleines verstörtes Mädchen, das nicht wusste, was mit ihrem Bruder und ihrer heißgeliebten Gran passiert war. Fremde Leute haben mich aufgenommen. Menschen, denen Geld wichtiger war und die das ganze Haus voller Kinder hatten, um sie zu quälen und zu schänden. Wissen Sie, wann ich das erste Mal Sex hatte? Na?“
    Beschämt blickte Ruth zu Boden, nachdem sie sich vorher bekreuzigt hatte.
    „Ich war nicht mal neun!“, spuckte Medina aus. „Dieser Hurensohn hat mich mittags im Zimmer besucht und mir seinen dicken, ekligen Schw…“ Weiter kam Medina nicht. Alex hatte sich ihr genähert und hielt sie von hinten fest im Arm. Ihre Schultern zitterten und die Knie gaben nach. Schluchzend ließ sie die Umarmung zu, den Kopf in den Händen vergraben. Ruth schien es zu bevorzugen, kein Wort mehr zu sagen. Nur noch das Schluchzen und Jammern Medinas war zu hören. Als keine Träne mehr da zu sein schien, hob sie den Kopf und blickte Ruth herausfordernd an.
    „Was ist jetzt mit der Kohle? Ich will sie gleich haben und hier endlich abhauen.“
    „Ja, sicher, das verstehe ich. Ich habe aber noch etwas für dich. Warte bitte hier, ich bin gleich wieder da.“
    Alex reichte ihr ein Taschentuch, sie putzte sich die Nase. Dass er kein Wort sagte, machte sie auf der einen Seite wahnsinnig, auf der anderen rechnete sie ihm das hoch an. Jeder andere hätte nun ein paar Worte zu ihrer Kindheit gesagt und wie schlimm doch alles für sie gewesen sein musste. Er nicht. Fast wünschte sie sich, dass er etwas sagen würde, damit sie mit ihm Streit anfangen könnte, aber er blieb nur still hinter ihr stehen.
    Wenig später war Ruth wieder da und überreichte ihr ein Kästchen aus Holz. Es war verschnörkelt, bemalt und klein wie eine Packung Margarine. Medina schüttelte es, aber es schienen sich keine losen Dinge darin zu befinden. Als sie wieder aufsah, hatte Ruth mit Alex das Haus verlassen. Dankbar ging Medina zur Couch und setzte sich. Das Kästchen hielt sie im Schoß. Was für eine beschissene Kacke ist das hier eigentlich?
    Nach einer Weile öffnete sie es und fummelte umständlich das kleingefaltete Papier heraus. Als sie es endlich auseinandergefaltet hatte, lagen fünf beschriebene Seiten auf dem Boden, von denen sie die erste nicht mal mit viel Mühe entziffern konnte. Also widmete sie sich dem nächsten Blatt.
     
    Medina,
    Es musste passieren, da es unser aller Schicksal war, mit dem du fest verwoben bist. Du wirst es irgendwann verstehen. Du wirst mir niemals verzeihen, aber du wirst mich verstehen lernen.
    Ich mag mir nicht ausmalen, wie du die letzten zwölf Jahre verbringen musstest, aber glaube mir, mein Schatz, je härter du ums Überleben kämpfen musst, desto härter wirst du werden …
     
    Medina ließ den Brief sinken und schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf. Woher hatte Grandma gewusst, wann ich diesen Brief lesen werde? „Shit, was ist hier eigentlich los? Werde ich bekloppt?“, fragte sie laut und nahm den Brief wieder zur Hand.
     
    … und diese Härte wirst du brauchen, um deine Aufgabe zu erfüllen. Alles, was du dazu noch benötigst, wirst du im Keller finden. Zerstöre das Medaillon und lass die Vorderseite in einem dafür vorgesehenen Schloss einrasten. Was du dann finden wirst, ist dein Schicksal, weshalb viele Menschen ihr Leben geben mussten. Ich weiß genau, du wirst das Richtige tun, du bist deiner Mom so ähnlich.
    Ich liebe dich
    Für immer
    Deine Grandma
     
    „Na toll. Und wo finde ich das Schloss? Witzig, Oma!“ Zornig zerknüllte sie den Brief und starrte auf ihr Medaillon. Na gut, ich geh ja schon . Mit wenigen Schritten war sie an der Kellertür und kramte ihr Feuerzeug aus der Hosentasche. Mit dem flackernden Licht in der Hand stieg sie vorsichtig die Stufen hinab und kam sich plötzlich vor, als wäre sie wieder acht. Angst hielt sie fest im Griff und begleitete sie nach unten.
    Logischerweise musste das Schloss an einer der Wände sein. Medina versuchte mit den Fingern Unebenheiten zu ertasten und hoffte, das
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