Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
Zeichen hatte sein Vater in einem der Tagebücher festgehalten, und er nahm sich vor, eine dauerhaftere Gedenktafel aufzustellen und das Grab einzuzäunen, damit dessen Frieden nicht gestört würde. Unkraut wucherte auf dem Grab. Während er Bartgras und Prärieampfer, die sich zwischen die Taglilienbüschel gezwängt hatten, herausriss, ertappte er sich dabei, wie er Makwa berichtete, dass einige ihres Stammes glücklich und sicher in Tama lebten. Die kalte Wut, die er früher hier gespürt hatte, ob sie nun tief aus ihm selbst gekommen war oder nicht, diese Wut war verschwunden. Alles, was er jetzt fühlte, war tiefe Ruhe. Und doch... Da war noch etwas.
    Er richtete sich auf und kämpfte eine Weile mit sich. Doch dann wandte er sich exakt nach Nordwesten und begann, jeden Schritt zählend, sich vom Grab zu entfernen.
    Nach zehn Schritten stand er inmitten der Ruinen des hedonoso-te. Vom Langhaus war nach so vielen Jahren nichts mehr übrig außer einem niederen, unebenen Haufen dünner Stämme und Streifen vermodernder Baumrinde, aus dem Spartgras und wilder Indigo sprossen. Es ist unsinnig, sagte er sich, das Grab herzurichten und das Schwitzhaus zu versetzen, diesen unansehnlichen Haufen dagegen so zu lassen, wie er ist. Aus dem Stall holte er sich eine große Kanne Lampenöl, die er über dem Haufen ausleerte. Holz und Rinde waren feucht vom Tau, aber sein Schwefelhölzchen fing gleich beim ersten Versuch Feuer, und das Öl entzündete sich und loderte auf. Augenblicke später stand der ganze Haufen in tanzenden blauen und gelben Flammen, und eine dunkle Rauchsäule stieg gerade in die Höhe, bis der Wind sie erfasste und über den Fluss trieb. Shaman sah den ersten watawinona, vermutlich den wachenden, auf einer Kugel beißenden, schwarzen Rauchs, die aus den obersten Stämmen herausplatzte, davonreiten.
    Er glaubte, der zweite böse Kobold sei aufgewacht und geflohen, als das Innere des Stapels Feuer fing. Der dritte folgte in einer helleren Rauchschwade, in der die Funken tanzten, und der letzte watawinona segelte in einem in die Luft aufsteigenden Boot aus weißer Asche davon.
    Shaman stand nahe am Feuer und spürte die Hitze auf seiner Haut -wie bei einer rituellen Feier der Sauks, dachte er. Er stellte sich vor, wie dieser Ort ausgesehen hatte, als der junge Rob J. Cole hier ankam: unberührte Prärie bis zum Waldsaum am Fluss. Und er dachte an die anderen, die hier gelebt hatten, an Makwa und Mond und Der singend einhergeht. Und an Alden. Während das Feuer langsam niederbrannte, fing er in Gedanken an zu singen:
    Tti-la-ye ke-wi-ta-mo-ne i-no-ki-i-i, ke-te-ma-ga-yo-se!
    Geister, ich spreche jetzt zu euch, gewährt mir eure Gnade!
    Bald war nur noch eine dünne, harzige Schicht übrig, aus der dünne Rauchfäden aufstiegen. Er wusste, dass Gras darüberwachsen und jede sichtbare Erinnerung an das hedonoso-te auslöschen würde. Als das Feuer so weit erloschen war, dass er es sich selbst überlassen konnte, machte er sich mit der Ölkanne auf den Rückweg. Auf dem Langen Weg kam ihm eine kleine Gestalt entgegen. Sie versuchte mürrisch, einen kleinen Jungen hinter sich zu lassen, der gefallen war und sich das Knie aufgeschlagen hatte. Doch der kleine Junge humpelte störrisch hinter ihr drein. Er weinte, und seine Nase lief.
    Shaman putzte Joshua mit seinem Taschentuch die Nase und küsste sein Knie neben der blutigen Stelle. Er versprach, es zu Hause wieder heil zu machen. Dann setzte er sich Hattie auf die Schultern, nahm Joshua in die Arme und marschierte los. Diese beiden waren die einzigen Kobolde auf der Welt, die ihm wichtig waren, diese beiden guten Kobolde, die seine Seele verzaubert hatten. Hattie zog ihn an den Ohren, damit er schneller ging, und er fing an zu traben wie Trude. Als sie so fest an seinen Ohren zerrte, dass sie schmerzten, drückte er Joshua gegen Hatties Beine, damit sie nicht herunterfallen konnte, und begann zu galoppieren wie Boss. Und nun rannte und rannte er, rannte auf das Beste in seinem Leben zu.

Erklärung fremdsprachiger Ausdrücke
    Challa : Sabbatbrot
    Cholent : jüd. Eintopfgericht
    coska : indian. männliches Glied
    hedonoso-te : indian. Langhaus aus geflochtenen Ästen
    izze : indian. Talisman aus gefärbten Sehnen
    Jichuss : jüd. edle Abstammung, Adel
    Jom Kippur : jüd. Versöhnungstag
    kalumet : indian. Friedenspfeife
    Kohanim : jüd. Priester
    Masesibowi : indian. Mississippi
    mee-shome : indian. Medizinerbündel
    Mide’wiwin : Rat der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher