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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane
Autoren: Noah Gordon
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sein Quantum Brandy. Die Wartezeit wurde ihm lang, und mehr als einmal sagte er sich, dass das Mädchen ihn an der Nase herumgeführt habe. In dem alten Haus gab es eine Unzahl von nächtlichen Geräuschen, knarrende Dielen, Lems kehliges Schnarchen und immer wieder geheimnisvolles Knacken in den hölzernen Zwischenwänden. Schließlich hörte er ein sehr leises Geräusch an der Tür, nur die Andeutung eines Klopfens, und als er öffnete, schlüpfte Margaret Holland, schwach nach Frau und Geschirrwasser riechend, herein, flüsterte, dass es eine kalte Nacht werde, und streckte ihm zur Rechtfertigung ihres Kommens eine fadenscheinige zusätzliche Decke entgegen.
    Kaum drei Wochen nach der Sektion des Jugendlichen erhielt die Tremont Medical School eine neue anatomische »Fundgrube«, die Leiche einer jungen Frau, die im Gefängnis an Kindbettfieber gestorben war. An diesem Abend wurde Professor Holmes im Massachusetts General aufgehalten, und Dr. David Storer vom Lying-In übernahm die Vorlesung. Bevor Rob J. mit dem Sezieren beginnen durfte, bestand Dr. Storer auf einer eingehenden Untersuchung der Hände seines Assistenten. »Kein eingerissenes Nagelbett, keine Verletzungen der Haut?«
    »Nein, Sir«, erwiderte Rob J. etwas verstimmt, denn er sah keinen Grund für dieses Interesse an seinen Händen. Nach der Vorlesung bat Storer die Studenten in einen anderen Teil des Saales, wo er ihnen die Untersuchung von Schwangeren oder Patientinnen mit Frauenkrankheiten demonstrieren wollte. »Sie werden feststellen, dass die züchtige Neuengländerin vor einer solchen Untersuchung zurückschreckt oder sie sogar verbietet«, sagte er. »Doch Sie haben die Aufgabe, ihr Vertrauen zu gewinnen, um ihr zu helfen.« Dr. Storer hatte eine sehr dicke Frau im fortgeschrittenen Stadium der Schwangerschaft dabei, vermutlich eine Prostituierte, die für diese Demonstration engagiert worden war. Während Rob J. noch den Seziertisch reinigte, traf Professor Holmes ein. Als er mit seiner Arbeit fertig war, wollte Rob J. sich zu den Studenten gesellen, die die Frau untersuchten, doch Dr. Holmes versperrte ihm den Weg. »Nein, nein!« sagte der Professor. »Sie müssen sich gründlich waschen und gehen! Auf der Stelle, Dr. Cole! Warten Sie in der Essex Tavernl Ich will mir nur noch einige Unterlagen und Notizen zusammensuchen.« Verwundert und verärgert gehorchte Rob J. Das Wirtshaus lag gleich um die Ecke. Weil er nervös war, bestellte er sich ein Bier, obwohl es ihm durch den Kopf schoss, dass seine Tage als Assistent vielleicht gezählt waren und er deshalb sein Geld nicht vergeuden sollte. Er hatte sein Glas kaum zur Hälfte ausgetrunken, als Harry Loomis, ein Student im zweiten Jahr, mit zwei Notizbüchern und einigen Nachdrucken medizinischer Artikel erschien.«
    »Die schickt Ihnen der Dichter.
    »Wer?«
    »Wissen Sie das denn nicht? Er ist Bostons Hofdichter. Als Dickens Amerika besuchte, hat man Oliver Wendell Holmes gebeten, die Begrüßungsrede zu verfassen. Aber denken Sie sich nichts! Er ist ein besserer Arzt als Dichter. Seine Vorlesungen sind großartig, was?« Loomis bestellte sich fröhlich winkend ebenfalls ein Glas Bier. »Er nimmt’s allerdings sehr genau mit dem Händewaschen. Glaubt nämlich, dass Dreck Wundinfektionen verursacht.«
    Zu den Unterlagen gehörte eine Notiz, die auf der Rückseite einer überfälligen Laudanumrechnung der Apotheke Weeks & Potter gekritzelt war: Dr. Cole, bitte lesen Sie das, bevor sie morgen Abend wieder in die Tremont Med. Schi, kommen! Ich verlasse mich darauf. Hochachtungsv., Holmes.
    Gleich nachdem er in sein Zimmer bei Mrs. Burton zurückgekehrt war, begann er zu lesen, zuerst etwas verärgert, doch dann mit wachsendem Interesse. Es handelte sich in der Hauptsache um einen Artikel, den Holmes zuerst im »New England Quarterly Journal of Mediane« und dann als Zusammenfassung im »American Journal of the Medical Sciences« veröffentlicht hatte. Zunächst kamen Rob J. die Fälle, von denen Holmes berichtete, vertraut vor, denn sie entsprachen genau dem, was auch in Schottland passierte, dass nämlich ein hoher Prozentsatz schwangerer Frauen an außergewöhnlich hohem Fieber erkrankte, das sehr schnell zu einer allgemeinen Infektion und schließlich zum Tod führte.
    Doch dann war in Holmes’ Artikel von einem Arzt namens Whitney aus Newton in Massachusetts die Rede, der, assistiert von zwei Medizinstudenten, eine Obduktion an einer an Kindbettfieber gestorbenen Frau vorgenommen
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