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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus
Autoren: Noah Gordon
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gut!« Die Docks dufteten nach sonnenwarmem Fichtenharz und geteerten Tauen. Sie presste eine Hand auf den Bauch, als sie spürte, wie sich ihr Kind in dem Ozean zwischen ihren Hüften bewegte. An der Ecke sang eine Gruppe von Seeleuten mit Blumen an den Mützen fröhliche Lieder, zu denen drei Musikanten auf einer Querpfeife, einer Trommel und einer Harfe spielten. Während sie an ihnen vorbeiging, bemerkte sie einen Mann.
    Er lehnte an einem merkwürdig aussehenden Wagen, auf den die Zeichen des Tierkreises aufgemalt waren. Er mochte an die vierzig Jahre alt sein, und die Haare begannen ihm auszugehen, die wie sein Bart rötlich waren.
    Seine Züge waren sympathisch, und er hätte besser ausgesehen als Nathanael, wenn er nicht so dick gewesen wäre. Sein Gesicht war wettergegerbt, und sein Bauch stand genauso weit vor wie der ihre. Doch war seine Korpulenz nicht abstoßend; im Gegenteil, sie wirkte entwaffnend und anziehend und verriet, dass hier ein freundlicher, geselliger Geist den Freuden des Lebens zu sehr zugetan war. Seine blauen Augen glänzten und blitzten und passten zu dem Lächeln auf seinen Lippen.
    »Hübsche Dame, wollt Ihr mein Liebchen sein?« fragte er. Überrascht sah sie sich um, um festzustellen, mit wem er sprach, aber außer ihr war niemand in der Nähe.
    »Wir sind füreinander geschaffen. Ich würde für Euch sterben, meine Dame«, rief er ihr begeistert nach.
    »Nicht nötig. Christus hat es schon getan, Sir«, entgegnete sie, hob den Kopf, straffte die Schultern und ging weiter. Dabei wiegte sie sich verführerisch in den Hüften, schob ihren beinahe unglaublichen, vom Kind ausgefüllten Bauch vor sich her und stimmte in sein Gelächter ein.
    Sie lächelte noch, als in der Nähe des Puddle Dock die Wehen einsetzten. »Barmherzige Mutter!« flüsterte sie.
    Der Schmerz setzte wieder ein, begann in ihrem Bauch, griff jedoch auf den ganzen Körper und ihre Sinne über, so dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Als sie auf das Kopfsteinpflaster sank, platzte die Fruchtblase.
    Sofort sammelte sich eine Menge von neugierigen Londonern, und ein Wald von Beinen schloss sie ein. Durch einen Nebel von Schmerzen nahm sie einen Kreis von Gesichtern wahr, die auf sie herunterschauten.
    Agnes stöhnte.
    »Hört mal, ihr erbärmlichen Scheißkerle«, brummte ein Rollkutscher. »Lasst ihr Platz zum Atmen. Und lasst uns unser tägliches Brot verdienen. Bringt sie von der Straße weg, damit unsere Wagen vorbei können.«
    Man trug sie an einen Ort, wo es dunkel und kühl war und stark nach Dung roch. Dabei machte sich jemand mit ihrem Bündel Stickereien davon. Weiter hinten in der Dunkelheit bewegten sich schwankend große Gestalten.
    Ein Huf schlug hallend an ein Brett, gefolgt von lautem Wiehern.
    »Was soll das? Ihr könnt sie nicht hierher bringen«, wehrte sich eine mürrische Stimme. Es war ein aufgeregter, kleiner Mann mit rundem Bauch und lückenhaften Zähnen, und als sie seine Stallknechtstiefel und die Mütze sah, erkannte sie Geoff Egglestan und wußte, daß sie in seinem Stall lag. Vor mehr als einem Jahr hatte Nathanael hier einige Boxen neu gebaut, und sie wollte diese Tatsache nützen.
    »Master Egglestan«, keuchte sie leise. »Ich bin Agnes Cole, die Frau des Zimmermanns, den Ihr gut kennt.«
    Sein Gesicht verriet, daß er sie widerwillig erkannte und ihm klar wurde, daß er sie nicht hinauswerfen konnte.
    Die Leute drängten sich neugierig hinter ihm. Agnes rang nach Atem. »Bitte, würde jemand so freundlich sein und meinen Mann holen?« fragte sie.
    »Ich kann von meiner Arbeit nicht weg«, murmelte Egglestan. »Das muß jemand anderer besorgen.«
    Niemand rührte sich.
    Sie steckte die Hand in die Tasche und fand das Geldstück. »Bitte«, wiederholte sie und hielt es in die Höhe.
    »Ich werde meine Christenpflicht tun«, meldete sich sofort eine Frau, offenbar eine Prostituierte. Ihre Finger schlössen sich wie eine Klaue um die Münze.
    Der Schmerz war unerträglich. Diesmal war es ein anderer, neuer Schmerz. Sie war an dicht aufeinanderfolgende Wehen gewöhnt; nach den ersten beiden Schwangerschaften waren die Geburten etwas schwierig gewesen, aber im Lauf der Zeit hatte sich der Muttermund gedehnt. Sie hatte vor und nach Anne Mary Fehlgeburten gehabt, aber sowohl Jonathan als auch das Mädchen hatten nach dem Platzen der Fruchtblase ihren Körper mühelos verlassen wie kleine, zwischen zwei Fingern herausgedrückte Samen. Bei fünf Geburten hatte sie nichts
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