Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
Er wich Lastfuhrwerken und Betrunkenen aus und rannte durch dichtes Menschengewühl zum Puddle Dock. Auf halbem Weg erblickte er seinen Feind, Anthony Tite, mit dem er im letzten Jahr dreimal erbittert gekämpft hatte.
    Halt mich jetzt nicht auf, du glotzäugiger Fisch! dachte Rob beherrscht. Versuch es nur, Scheiß-Tony, und ich mach dich wirklich fertig - wie ich es einmal mit meinem niederträchtigen Pa tun werde. Er geriet außer Atem und hatte Seitenstechen, als er Egglestans Stall erreichte, wo er sah, wie eine ihm unbekannte alte Frau ein Neugeborenes wickelte.
    Im Stall roch es nach Pferdemist und dem Blut seiner Mutter. Sie lag auf dem Boden, ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht war bleich. Es erstaunte ihn, wie klein sie war. »Ma?«
    »Du bist der Sohn?«
    Er nickte, seine magere Brust hob und senkte sich. Die alte Frau räusperte sich und spuckte auf den Boden.
    »Lass sie in Ruhe!« sagte sie.

    Als sein Pa eintraf, hatte er für Rob kaum einen Blick übrig. In einem mit Stroh gepolsterten Leiterwagen, den sich Bukerei von einem Baumeister geliehen hatte, brachten sie Ma zusammen mit dem Neugeborenen nach Hause. Es war ein Junge, der auf den Namen Roger Kemp Cole getauft werden sollte.
    Ma hat immer, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hatte, das Neugeborene den anderen Kindern übermütig und stolz gezeigt. Jetzt starrte sie nur zum Strohdach empor.
    Schließlich holte Nathanael die Witwe Hargreaves vom Nachbarhaus. »Sie kann nicht einmal das Kind stillen«, sagte er zu ihr. »Vielleicht wird es sich geben«, meinte Della Hargreaves. Sie kannte eine Amme und brachte den Kleinen zu Robs großer Erleichterung zu ihr. Er hatte alle Hände voll zu tun, weil er sich um die übrigen vier Geschwister kümmern musste. Jonathan Carter war schon aufs Töpfchen gegangen, hatte dies aber, weil ihm die Betreuung durch seine Mutter fehlte, wieder verlernt.
    Sein Pa blieb zu Hause. Rob sprach kaum mit ihm und ging ihm aus dem Weg. Der Unterricht, den die Mutter jeden Morgen abgehalten hatte, fehlte Rob, denn Ma hatte ihn als ein fröhliches Spiel dargeboten. Er kannte niemanden, der so voller Wärme, herzlichem Übermut und Geduld mit jemandem war, der sich alles nur langsam merkte. Rob befahl Samuel, Willum und Anne Mary außerhalb des Hauses zu beschäftigen. Am Abend weinte dann Anne Mary und wollte ihr Schlummerlied hören. Rob drückte sie an sich und nannte sie seine Maid Anne Mary, was sie am liebsten hörte. Schließlich erzählte er ihr von weichen, süßen Kaninchen und flaumigen Vögeln im Nest und war froh, dass Anthony Tite nicht dabei war. Seine Schwester hatte rundere Wangen und zartere Haut als ihre Mutter, obwohl Ma immer behauptete, dass Mary den Kemps wie aus dem Gesicht geschnitten sei, sogar wenn ihr Mund sich im Schlaf entspanne. Ma sah am zweiten Tag besser aus, aber sein Vater meinte, die Farbe auf ihren Wangen komme vom Fieber. Sie zitterte, und sie breiteten zusätzliche Decken über sie.
    Als Rob ihr am dritten Morgen Wasser zu trinken gab, erschrak er über die Hitze, die von ihrem Gesicht ausging. Sie streichelte seine Hand. »Mein Rob«, flüsterte sie, »ein richtiger Mann.« Ihr Atem roch übel und ging sehr schnell.
    Als er ihre Hand ergriff, ging etwas von ihrem Körper in ihn über. Es war eine Art Gewissheit: Er wusste genau, was mit ihr geschehen würde. Er konnte nicht weinen. Er konnte nicht aufschreien. Die Haare in seinem Nacken sträubten sich, und er empfand tiefes Entsetzen. Er hätte damit nicht fertig werden können, selbst wenn er erwachsen gewesen wäre, und dabei war er noch ein Kind. In seinem Entsetzen drückte er Mas Hand zu fest, was ihr Schmerzen bereitete. Sein Vater sah es und gab ihm eine Kopfnuss. Als er am nächsten Morgen aufstand, war seine Mutter tot.

    Nathanael Cole weinte, was seine Kinder, die die Tatsache, dass Ma für immer von ihnen gegangen war, noch nicht begriffen hatten, in Angst versetzte. Sie hatten ihren Vater noch nie weinen sehen, und sie drängten sich mit blassen Gesichtern furchtsam zusammen.
    Die Zunft sorgte für alles.
    Zuerst kamen die Frauen. Keine war Agnes' vertraute Freundin gewesen, denn ihre Schulbildung hätte sie verdächtig gemacht. Doch jetzt verziehen ihr die Frauen ihre Überlegenheit und bahrten sie auf. Von da an hasste Rob den Geruch von Rosmarin. Wenn die Zeiten besser gewesen wären, hätten sich die Männer erst am Abend nach der Arbeit eingefunden, aber viele waren arbeitslos und kamen deshalb früh. Hugh
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher