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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus
Autoren: Noah Gordon
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Kriegsgefangener wurde der servus eines Kriegers, der ihm das Leben hätte nehmen können, ihn aber verschont hatte; freie Männer konnten wegen schwerer Verbrechen zur Knechtschaft verurteilt werden; ebenso Schuldner oder Leute, die außerstande waren, eine große Geldstrafe zu bezahlen. Frau und Kinder eines Mannes kamen mit ihm in die Knechtschaft, und ebenso künftige Generationen seiner Familie.
    Die Unfreien vor der Tür waren große, muskulöse Männer mit rasierten Köpfen, die sie äußerlich kennzeichneten, und zerlumpter Kleidung, die entsetzlich stank. Rob wusste nicht, ob sie gefangene Ausländer oder Engländer waren, denn sie sprachen kein Wort, sondern starrten ihn nur gleichmütig an. Nathanael war nicht klein, aber sie trugen ihn, als würde er nichts wiegen. Die Unfreien jagten Rob noch mehr Angst ein als die fahle Blässe im Gesicht seines Vaters oder die Art, wie Nathanaels Kopf kraftlos herabhing, als sie ihn hinlegten* »Was ist geschehen?«
    Whitelock zuckte mit den Achseln. »Es ist ein Jammer. Die Hälfte von uns leidet daran, hustet und spuckt die ganze Zeit. Heute war er so schwach, dass er zusammenbrach, als die schwere Arbeit begann. Nach ein paar Tagen Ruhe wird er schon wieder auf dem Damm sein.« Am nächsten Morgen war Nathanael nicht imstande, das Bett zu verlassen; seine Stimme war nur ein heiseres Krächzen. Frau Hargreaves brachte heißen Tee mit Honig und blieb bei ihm. Sie sprachen leise und vertraulich miteinander, und ein- oder zweimal lachte die Frau.
    Doch als sie am nächsten Morgen kam, hatte Nathanael hohes Fieber, er konnte weder scherzen noch schmeicheln, und sie ging bald wieder. Seine Zunge und Kehle wurden grellrot, und er verlangte immer wieder zu trinken.
    In der Nacht fieberte er, und einmal schrie er, dass die stinkenden Dänen in ihren Schiffen mit dem hohen Bug die Themse heraufsegelten. Seine Brust füllte sich mit zähem Schleim, den er nicht loswerden konnte, und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Als der Morgen kam, eilte Rob ins Nachbarhaus, um die Witwe zu holen, doch Della Hargreaves weigerte sich herüberzukommen. »Ich halte es für Soor. Das ist ansteckend«, wehrte sie ab und schloss die Tür.
    Da Rob sonst niemanden haue, an den er sich wenden konnte, ging er wieder zum Zunfthaus. Richard Bukerei hörte ihm ernst zu, dann begleitete er ihn nach Hause, setzte sich für einige Zeit ans Fußende von Nathanaels Bett, bemerkte sein gerötetes Gesicht und hörte das Röcheln, wenn er atmete. Er wusste, was mit dieser Familie geschehen würde, wenn auch noch der Vater starb. Also eilte er davon und verwendete Geld der Zunft, um Thomas Ferraton, einen Medicus, zu holen.
    An diesem Abend bekam Bukerei die scharfe Zunge seiner Frau zu spüren. »Einen Medicus? Gehört Nathanael Cole plötzlich zum Landoder gar zum Hochadel? Wenn ein gewöhnlicher Bader, der seine Arzneien selbst zubereitet, gut genug ist, um jeden Armen in London zu behandeln, warum braucht Nathanael Cole einen Arzt, der uns teuer zu stehen kommt?«
    Bukerei konnte nur eine Entschuldigung murmeln, denn sie hatte recht. Nur Adelige und reiche Kaufleute leisteten sich die teuren Dienste eines Medicus. Gewöhnliche Menschen wandten sich an einen Bader, und manchmal zahlte ein Arbeiter einem Barbier einen halben Penny für einen Aderlass oder eine fragwürdige Behandlung. Bukerei hielt alle Heiler für verdammte Blutsauger, die mehr Schaden anrichteten als Gutes stifteten. Aber er wollte Cole jede nur mögliche Hilfe angedeihen lassen, und so hatte er in einem schwachen Augenblick den teuren Arzt geholt, dem er die schwerverdienten Beiträge ehrlicher Zimmerleute in den Rachen warf.
    Der in eine reiche Familie hineingeborene Ferraton - sein Vater war der Wollhändler Johann Ferraton gewesen - war bei einem Medicus namens Paul Willibald in die Lehre gegangen, dessen wohlhabende Familie feine Klingen erzeugte und verkaufte. Willibald hatte reiche Leute behandelt, und Ferraton hatte nach seiner Lehrzeit diese Praxis übernommen. Adelige Patienten waren zwar für den Sohn eines Kaufmanns unerreichbar, aber er fühlte sich den Wohlhabenden zugehörig; er teilte ihre Ansichten und Interessen. Er behandelte niemals wissentlich einen Patienten, der nur Arbeiter war, hatte vielmehr angenommen, dass Bukerei der Bote einer bedeutenden Persönlichkeit war. In Nathanael Cole erkannte er sofort einen seiner nicht würdigen Patienten, doch da er keine Szene machen wollte, beschloss er, die unangenehme Aufgabe
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