Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
die Liebe der Frauen zu einem Mann alles. Aber auch unsere Kolcher, die mit mir gegangen sind, haben in Jason und mir von Anfang an ein Paar gesehen, es will ihnen nicht in den Schädel, daß ich in meines Vaters Haus nicht mit einem Mann schlafen konnte, der ihn betrog. Mit meiner Hilfe betrog, Mutter, ja, ja doch, das war doch die Grausamkeit meiner Lage, die mich zerriß, daß ich keinen Schritt machen konnte, der nicht falsch war, keine Handlung, die nicht etwas, was mir teuer war, verriet. Ich weiß, wie die Kolcher mich nach meiner Flucht genannt haben müssen, dafür hat schon der Vater gesorgt: Verräterin. Das Wort brennt mich noch immer. Es brannte mich in jener Nacht auf der »Argo«, einer der ersten Nächte nach unserer Flucht, die Flotte der Kolcher, die uns verfolgte, hatte von uns abgelassen, ich hockte auf einer Taurolle an der Bordwand, es war Neumond, ein ungeheurer Sternenhimmel, weißt du noch, hätte ich Jason fragen können, wie von einer Hand gestreut fielen die Sternschnuppen ins Meer, die See war ruhig, leise schlugen die Wellen an die Bordwand, leise und regelmäßig ruderten die Argonauten, die Ruderdienst hatten, das Schiff schaukelte kaum, es war eine laue Nacht. Als du kamst, Jason, könnte ich ihm sagen, warst du eindunkler Schatten gegen den Sternenhimmel, du hattest eine gute Stunde, du sagtest das Richtige im richtigen Ton, du tatest das Richtige auf die richtige Weise, du mildertest meinen Schmerz, den du nicht kanntest und den ich für unstillbar hielt. Du nahmst, wie um sie zu wärmen, meine Füße in deine Hände.
    Unsinn, hätte Jason gesagt, so schwieg ich. Er sagte: Wir wollen nicht streiten, Medea. Nicht heute nacht. Komm. Die Stimme. Noch einmal das Signal, dem etwas in mir entspricht, noch einmal überließ ich ihm nicht nur meinen Fuß, jeden Flecken meines Körpers, auf den er zu antworten weiß wie kein Mann sonst. Zu antworten wußte, schien es. Jason? Langes Schweigen. Das kannte ich schon. Jetzt würde er Schuldige suchen. Das kommt, sagte er anklagend, weil du mich betrügst. Oder wohin bist du so schnell verschwunden bei dem Festmahl, mit wem hast du dich amüsiert. Darauf mußte ich nicht antworten, das machte ihn böse. Früher, sagte er, wäre dir das nicht passiert. Früher hast du mir Kraft gegeben, alle Kräfte, die ich brauchte. Was er sagte, war wahr, ich stand auf, tauchte Gesicht und Arme in das Wasser, das ich am Morgen von der Quelle geholt hatte. Früher, sagte ich zu Jason, früher hast du an mich geglaubt. Und an dich.
    Immer hast du ein Widerwort, sagte Jason, immer weißt du alles besser, wann wirst du zugeben, daß deine Zeit vorbei ist. Jetzt, sagte ich, selbst überrascht, jetzt gebe ich es zu, aber was nützt es dir. Da preßte er seinen Kopf zwischen seine Hände und gab ein Stöhnen von sich, das ich von ihm noch nicht gehört hatte. Denk doch nicht, sagte er, denk doch bloß nicht, mir macht es Spaß, wenn auch du nicht weiterweißt. Das war einEingeständnis, das ich von ihm nicht erwartet hätte. Ich setzte mich zu ihm aufs Lager, löste ihm die Hände von den Schläfen, strich ihm über Stirn, Wangen, Schultern, die verletzliche Mulde über seinen Schlüsselbeinen, komm, sagte er bittend, ich legte mich zu ihm, ich kenne seinen Körper, weiß seine Lust aufzustacheln, hinter geschlossenen Lidern überließ er sich seinen Phantasien, an denen er mich nie teilnehmen ließ. Ja, ja, ja, Medea, das ist es. Ihm gelang, was ich ihm wünschte, mit seinem ganzen Gewicht fiel er auf mich, grub sein Gesicht zwischen meine Brüste und weinte, lange. Nie vorher sah ich ihn weinen. Dann stand er auf, tauchte sein Gesicht in die Wasserschüssel auf der Truhe, schüttelte den Kopf wie ein Stier, der einen Schlag vor die Stirn bekommen hat, und ging, ohne sich noch einmal nach mir umzuwenden.
    Dafür werde ich zahlen müssen. Immer muß die Frau dafür zahlen, wenn sie in Korinth einen Mann schwach sieht.
    Und zu Hause? In Kolchis? Täusche ich mich selbst, wenn ich innerlich darauf bestehe, da ist es anders gewesen? Merkwürdig, wie ich mich neuerdings darin übe, die Erinnerung an Kolchis wieder heraufzurufen, sie mit Farben aufzufüllen, als wollte ich dem Schwinden von Kolchis in mir nicht einfach zusehen. Oder als brauchte ich es, ich weiß noch nicht, wozu.
    Ich ging zu Lyssa, sie schlief nicht. Nebenan, durch den Türvorhang, hörte ich den Atem der Kinder. Ich wünschte mir, Lyssa würde mich fragen, wo ich gewesen sei, aber sie fragt niemals.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher