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Medaillon des Schicksals (German Edition)

Medaillon des Schicksals (German Edition)

Titel: Medaillon des Schicksals (German Edition)
Autoren: Laura Thorne
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betrachtete die Olivenhändlerin von oben bis unten. Rosaria hielt seinem prüfenden Blick stand. Der Wirt hatte ein gutmütiges Gesicht und helle, freundliche Augen. Doch zu verschenken hatte auch er nichts.
    Noch ehe Rosaria das befürchtete ›Nein‹ aus seinem Munde hörte, sagte sie: »Die Zeiten sind schwer, die Ernte wird schlecht ausfallen. Ich möchte Euch gewiss nichts wegnehmen. Wenn Ihr wollt, so werde ich Eure Gäste mit Gesang unterhalten.«
    Der Wirt überlegte. Die Gäste, Winzer und Bauern aus der Umgebung, waren wirklich nicht in der besten Stimmung. Das Unwetter hatte ihre Laune getrübt. Ein wenig Aufmunterung könnten sie schon vertragen. Fröhliche Leute tranken mehr. Und vielleicht könnte diese Olivenhändlerin ja dafür sorgen, dass eine bessere Stimmung in seiner Gaststube Einzug hielt, die den Gästen die Geldkatze lockerer machte.
    »Kommt herein«, sagte er schließlich und brachte Rosaria einen Teller mit dünner Suppe und einen Krug Wasser an einen kleinen Tisch, der dicht neben dem Aufgang zu den Gästezimmern stand.
    Hungrig vertilgte Rosaria die Suppe und sah dabei in die müden, verzagten Gesichter der Bauern und Winzer. Hin und wieder drangen einzelne Satzfetzen an ihr Ohr.
    »Meine Frau braucht einen neuen Umhang«, sagte der eine und runzelte sorgenvoll die Stirn. »Doch sie wird den alten noch einmal flicken müssen. Die Ernte ist verdorben, die Trauben sind von den Reben gefallen.«
    Die anderen am Tisch nickten.
    »Wenn sich doch die Herren mit weniger Abgaben zufrieden gäben«, klagte ein anderer.
    »Nein, darauf dürfen wir nicht hoffen«, sagte ein Dritter. »Die Herren wollen gut leben. Wie wir leben, ist ihnen dagegen gleichgültig.«
    Der Wirt trat an den Tisch. »Nun, Freunde, Eure Krüge sind leer. Wie wäre es mit Nachschub. Ich habe gerade ein frisches Fass mit köstlichem Chianti vom Vorjahr angestochen.«
    Die Bauern schüttelten die Köpfe und winkten ab. »Lass gut sein, Wirt. Wir können nicht mehr ausgeben als wir haben.«
    Der Wirt seufzte, zuckte mit den Schultern und kam zu Rosarias Tisch. »Hört selbst, wie schlecht die Stimmung hier ist. Nun, vielleicht muntert Euer Gesang die Männer auf.«
    Rosaria nickte, trank noch einen Schluck Wasser und stand auf. Sie stellte sich in die Mitte der Gaststube. Als die Gäste sie sahen, verstummten sie.
    Rosaria verbeugte sich und sagte: »Ich bin eine fahrende Olivenhändlerin und Sängerin. Wenn Ihr wollt, so gebe ich Euch gern eine Kostprobe meines Könnens.«
    Die Leute in der voll besetzten Gaststube nickten, und einige klatschten Beifall.
    Dann begann Rosaria zu singen. Die Bauern und Winzer lehnten sich auf ihren Bänken zurück und lauschten. Rosaria sang von Liebe und Wehmut, von Sehnsucht und Traurigkeit. Ihre Lieder klangen dunkel und klagend, voll schmerzlicher Melancholie und Schwermut. Die Gäste saßen stumm, keiner sprach, niemand lachte. Alle hörten zu, schienen angerührt von diesem Gesang, der das Herz schwer machte und doch am Ende tröstete.
    Doch dann geschah es. Rosaria sang gerade das dritte Lied, als einer der Winzer aufstand und mit der Faust auf den Tisch hieb, dass die Kannen und Becher tanzten.
    »Etwas Fröhliches soll sie singen. Traurigkeit kennen wir zur Genüge«, brüllte er, und einige der Anwesenden nickten.
    »Jawohl, etwas Lustiges, Frivoles wollen wir hören. Der Alltag ist düster und schwer genug.«
    Doch einige waren anderer Meinung.
    »Lasst sie. Sie singt, wie es uns ums Herz ist. Sie erzählt mit ihren Liedern die Wahrheit.«
    Rosaria stand in der Mitte der Gastwirtschaft und schwieg. Was sollte sie tun? Etwas Fröhliches singen, um den einen zu genügen? Etwas Trauriges, um es den anderen recht zu machen?
    Hilfe suchend sah sie zum Wirt, doch der hatte alle Hände voll zu tun, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.
    »Wir machen es so«, rief er durch den Schankraum. »Zuerst singt sie etwas Fröhliches, dann etwas Schwermütiges.«
    Doch niemand hörte ihn. In der Gaststube hatte jetzt ein großes Geschrei eingesetzt. Jeder versuchte, den anderen zu übertönen, jeder wollte zu seinem Recht kommen.
    »Fröhlichkeit macht das Leben leichter«, schrie einer.
    »Traurigkeit gehört auch dazu.«
    »Ja, weil du ein Miesepeter bist.«
    »Was bin ich? Das sagst du nicht noch einmal.«
    »Und ob ich das tue. Miesepeter. Miesepeter!«
    Der erste Gegenstand, der durch den Raum flog, war ein Becher. Er flog in die Gruppe derer, die fröhliche Lieder verlangt hatten, und
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