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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian
Autoren: Abbitte
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hinter uns gelassen hatten, kam das Haupthaus in Sicht. Kein Grund, nostalgisch zu werden – es war schon immer häßlich gewesen, auch wenn es von weitem eher nackt und ungeschützt wirkte. Wohl dem Mauerwerk zuliebe hatte man den Efeu entfernt, der früher den Anblick der hellroten Fassade gemildert hatte. Dann fuhren wir über die erste Brükke, und ich sah sofort, daß es den See nicht mehr gab. Einen Moment lang schwebten wir über einen perfekten Rasen dahin, wie man ihn gelegentlich in alten Burggräben findet, gar nicht mal unansehnlich, wenn man nicht wußte, was vorher dort gewesen war – das Riedgras, die Enten und der Riesenkarpfen, den zwei Landstreicher am Inseltempel gebraten und verspeist hatten. Den Tempel gab es auch nicht mehr. An seiner Stelle stand eine Holzbank mit einem Abfallkorb. Die Insel, die natürlich keine mehr war, glich einem gewaltigen alten Hügelgrab, eine langgestreckte, mit weichem Gras bewachsene Anhöhe, auf der sich Rhododendron und andere Sträucher ausbreiteten. Ein Kiespfad schlängelte sich daran vorbei, und hier und da standen noch weitere Bänke und einige kugelförmige Gartenlampen. Mir blieb keine Zeit, die Stelle auszumachen, an der ich einst die junge Lady Lola Marshall getröstet hatte, da wir gleich darauf über die zweite Brücke fuhren, langsamer wurden und auf den asphaltierten Parkplatz einbogen, der die gesamte Hausfront einnahm.
Michael trug meinen Koffer zum Empfang in der alten Eingangshalle. Wie seltsam, daß man sich die Mühe gemacht hatte, die schwarzweißen Fliesen mit Auslegware zu bedecken. Wahrscheinlich war die Akustik schon immer ein Problem gewesen, auch wenn mich das nie gestört hatte. Aus verborgenen Lautsprechern rieselte eine der Jahreszeiten von Vivaldi herab. Ein dezenter Rosenholztisch mit Blumenvase und Computerbildschirm, auf beiden Seiten von einer Ritterrüstung flankiert, war die Rezeption; an der Täfelung hingen zwei gekreuzte Hellebarden nebst einem Wappenschild, darüber das Porträt, das früher im Speisesaal gehangen und das mein Großvater ins Haus geholt hatte, um der Familie eine vornehme Herkunft anzudichten. Ich gab Michael ein Trinkgeld und wünschte ihm von Herzen Glück mit seinem Eigentumsrecht und der Armut. Es sollte ihn meine dumme Bemerkung über Anwälte vergessen lassen. Er dagegen wünschte mir einen schönen Geburtstag, gab mir die Hand – ein federleichter, ganz und gar nicht energischer Griff – und ging. Eine ernste junge Frau im BusinessKostüm reichte mir meinen Schlüssel und sagte, daß die alte Bibliothek für die Geburtstagsgesellschaft reserviert sei. Die wenigen Gäste, die bereits eingetroffen waren, machten einen Spaziergang, und man wolle sich um sechs auf einen Drink treffen. Ein Portier würde meinen Koffer nach oben tragen. Falls es mir lieber sei, könne ich auch den Fahrstuhl benutzen. Also war niemand da, um mich zu begrüßen. Ich war erleichtert, da ich es vorzog, mich allein umzusehen, all das zu begutachten, was sich verändert hatte, bevor ich in die Rolle des Ehrengastes schlüpfen mußte. Mit dem Fahrstuhl fuhr ich in den zweiten Stock, öffnete eine gläserne Brandschutztür und ging über den Flur, dessen gebohnerte Dielen auf so vertraute Weise knarrten. Merkwürdig, Nummern an den verschlossenen Schlafzimmertüren zu sehen. Meine eigene Zimmernummer – sieben – sagte mir natürlich nichts, aber ich glaube, ich ahnte bereits, wo ich schlafen würde. Zumindest war ich nicht überrascht, als ich vor der Tür stand. Es war nicht mein altes Zimmer, sondern jenes von Tante Venus, dem schon immer der schönste Ausblick über den See, die Auffahrt, den Wald und die Hügel in der Ferne nachgesagt worden war. Bestimmt hatte Charles, Pierrots Enkel und der Organisator des Festes, es für mich reserviert.
Ich wurde bei meinem Eintritt angenehm überrascht. Um eine Suite entstehen zu lassen, waren auf beiden Seiten Zimmer angegliedert worden. Ein gewaltiger Strauß Treibhausblumen stand auf einem niedrigen Glastisch. Das riesige, hohe Bett, in dem Tante Venus so lange klaglos ausgeharrt hatte, war verschwunden, ebenso die geschnitzte Truhe und das grüne Seidensofa. Sie gehörten jetzt Leons ältestem Sohn aus zweiter Ehe, der sie in einem Schloß irgendwo in den schottischen Highlands untergebracht hatte. Doch die neuen Möbel waren hübsch, und mir gefiel das Zimmer. Mein Koffer wurde gebracht, ich bestellte ein Kännchen Tee, hängte mein Kleid auf, sah mich in meinem Wohnzimmer um,
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