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mayday mayday ... eastern wings 610

mayday mayday ... eastern wings 610

Titel: mayday mayday ... eastern wings 610
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schon sagte: »Das schaff ich hier nicht. Warum verziehen wir uns nicht?«
    Ja, warum nicht?
    Sie sah in seine hellen Augen und in dieses klare, von Falten durchschnittene Männergesicht, in sein leichtes, etwas ironisches Lächeln. Vielleicht nicht der Kapitän aus dem Bilderbuch – er hätte auch Arzt sein können –, aber irgendwie war er sympathisch.
    Vor dem Haus stand ein dunkelgrüner, reichlich abgenutzter BMW.
    Er schlug eine Kneipenrunde vor, und wieder nickte sie. Bei einigen weiteren Gläsern Wein wollte er unendlich viel wissen und erzählte reichlich wenig, und als er sie schließlich im Wagen nach Heidelberg mitnahm, wo sie wohnte, und die ersten Lichter der alten Stadt auftauchten, hob er die Hand und deutete nach links: »Kennen Sie den berühmten Satz: Warum nehmen wir nicht noch einen letzten Drink bei mir?«
    »Kenn' ich … und Sie haben recht: wieso eigentlich nicht?«
    Wieder wunderte sich Anja über sich selbst. Nicht daß der Mann oder der Wein oder beides zusammen ihr den Kopf verdreht hätten – was sie fühlte, war eine angenehme, wärmende Neugierde. Sie hatte einen Bungalow, vielleicht ein Penthouse, in jedem Fall etwas zu einem Lufthansapiloten Passendes erwartet, und nicht ein altes Walmdachhaus hinter einer hohen Gartenhecke, auch nicht die Holzscheite im Kamin, die er rasch und geschickt anzündete. Was sie am meisten beeindruckte, waren die vielen Bücher und all die tausend Gegenstände an den Winden: Teller aus Arabien, Puppen aus Thailand, Totems, Schamanentrommeln …
    Das Feuer flackerte, er sprach. Vielleicht war es der Wein, vielleicht die Stimme, sie fühlte sich wie in eine sonderbare, fremde, exotische Welt versetzt. Er sei geschieden, sagte er. Er habe eine fast erwachsene Tochter, an die sie ihn irgendwie erinnere …
    Anja blieb in dieser Nacht. Und er machte es ihr leicht. Er öffnete die Tür eines hübschen, hellen Zimmers. Es gehöre seiner Tochter. Und für morgen könne er ihr ein gewaltiges Frühstück versprechen.
    Drei Wochen später kam die erste Postkarte. Aus Atlanta, USA. Die nächste hatte einen Stempel aus Caracas als Absendeort. Dann Montreal. Und etwa einen Monat später kam er selbst die steile Treppe hoch, die zu ihrer Studentenwohnung in der Brunnengasse führte.
    Sein Lächeln verstörte sie. Außerdem schämte sie sich für den Verhau in ihrer Bude. Hastig räumte sie einen Stuhl frei. Doch er blieb stehen.
    »Jetzt erst mal schön der Reihe nach. Zuerst der gesellschaftliche Anstände.« Er zog ein flaches Etui heraus. Das Etui war aus dunkelblauem Leder. Es enthielt eine sündteure goldene Armbanduhr.
    Sie starrte ihn an.
    Er legte ihr die Uhr ums Handgelenk. »Die kannst du ruhig nehmen, Anja. Es ist nun mal so: Arme Schweine wie wir werden ständig um den Erdball gejagt. Da wär's ja doch komisch, wenn wir nicht bald den Bogen heraus hätten, wo's die billigsten Einkaufsquellen, die besten Hehler und die schlimmsten Schmuggler gibt.«
    »Aber das ist doch eine …«
    »Rolex? Hübsch, sicher. Aber preiswert.«
    Anja schluckte. Er lächelte.
    »Und da wir schon dabei sind, gleich der Trick Nummer zwei: Für sich und ihre Begleiter haben LH-Piloten das Anrecht auf Gratis- oder enorm verbilligte Flüge. Was hieltest du davon, wenn wir zum Beispiel nächsten Monat mal nach Rio de Janeiro abdampften?«
    Er sagte es ganz sachlich. Und vielleicht war es gerade das, was seine Worte so unwiderstehlich machte. Sie zog zu ihm. Und die Jahre, die folgten, waren wie ein langer Traum. Wenn Anja etwas gesucht hatte, dann war es Vertrauen und Zuverlässigkeit. Sie bekam beides. Und dazu noch mit einer Stetigkeit, die sie nie für möglich gehalten hätte.
    »Die Tasche auch noch? Die gehört doch Ihnen?«
    Anja nickte.
    »Raucher? Nichtraucher?«
    »Das ist mir egal.«
    Die Condor-Groundhosteß am Eincheckschalter blickte flüchtig auf und lächelte. »Ich könnte Ihnen auch nicht versprechen, ob das was nützen würde. So verrückt, wie's heute zugeht. Hier bitte, Ihre Bordkarte.«
    Anja nickte nicht, sagte auch nicht danke. Sie trat aus der Schlange der Wartenden, machte zwei Schritte nach links, drehte sich um, ging weiter, das Gesicht starr, die Lider halb gesenkt. Dann blieb sie erneut stehen.
    »Na, was ist denn?« hörte sie Iris. »Nun komm doch!« Die Stimme klang wie aus weiter Ferne.
    Augen starrten sie an. Auch das bemerkte Anja nicht. Alles – Geräusche, Stimmen, Dinge, Menschen – blieb verwaschen und unklar, wie durch einen Graufilter
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