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Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Titel: Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)
Autoren: Jürgen Kaube
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er brieflich stöhnt, und keiner der nachfolgenden Aufsätze ist eine Auftragsarbeit. Schaut man sich wiederum seine Schriften vor dem Zusammenbruch an, so finden sich dort kaum Einlassungen zur Methode. Und wer vermutet, Weber habe sich mit diesen Untersuchungen gewissermaßen die Instrumente anfertigen wollen, mit denen er danach an Phänomene wie Kapitalismus, Religion, Staat oder Recht herantrat, den mag seine Bemerkung ernüchtern, die Methodologie sei «sowenig Voraussetzung fruchtbarer Arbeit, wie die Kenntnis der Anatomie Voraussetzung ‹richtigen› Gehens. Ja, wie derjenige, welcher seine Gangart fortlaufend an anatomischen Kenntnissen kontrollieren wollte, in Gefahr käme zu stolpern, so kann das Entsprechende dem Fachgelehrten bei dem Versuche begegnen, auf Grund methodologischer Erwägungen die Ziele seiner Arbeit anderweit zu bestimmen.» [272]
    Eine kleine Stelle in Webers Auseinandersetzung mit der Schrift «Zur Theorie und Methodik der Geschichte» des Berliner Althistorikers und Ägyptologen Eduard Meyer gibt den entscheidenden Hinweis. Weber bezeichnet Meyers erkenntniskritische Überlegungen als «Krankheitsbericht nicht des Arztes, sondern des Patienten selbst, und als solcher wollen sie gewürdigt und verstanden werden». Weber, der das zu seinem eigenen Programm erklärt, teilt hier mit, er selbst sei nicht nur durch eine psychosomatische, sondern auch eine wissenschaftliche Krise gegangen. Darum sind seine Methodenaufsätze gar kein aufwendiges Putzen des Erkenntnisbestecks, sie sind vielmehr die Ursachenforschung und der Genesungsbericht eines Rekonvaleszenten, der sich aus einer Erkenntniskrise selbst herausschrieb und eben deshalb einen so ungeheuren, kräftezehrenden Aufwand damit trieb. [273]
    Um was für eine Krise kann es sich – jenseits der geschilderten persönlichen – gehandelt haben? Zunächst war es die Krise eines Gelehrten, der in keinem der Fächer, die er studiert hatte und danach in der Lehre vertrat, und in keiner Schule mehr zu Hause war. Weber war kein Jurist mehr, aber die historische Forschung war auch nicht das, was ihm vorschwebte. In der Wirtschaftswissenschaft neigte er den Lehrmeinungen, vor allem aber dem Wissenschaftsverständnis einer Schule zu, die sich in offenem Konflikt zur «Historischen Schule der Nationalökonomie» befand, in der er universitär großgezogen worden war. Zugleich vertrat er wirtschaftspolitische Ansichten, die wiederum mit denen über Kreuz lagen, die seine methodologische Sympathie hatten: Er verstand sich als politischer, und das hieß für ihn: nationalpolitischer Ökonom und nicht als kosmopolitischer Verfechter der Wohlfahrt von Konsumenten. Die Soziologie wiederum, zu der er sich nun langsam hinarbeitete, existierte als Fach noch gar nicht, und das, was es an stabilen Traditionen in ihr schon gab, die französische Linie des Herausfindens «sozialer Gesetze» und ihre Umsetzung in Gesellschaftssteuerung, die von Auguste Comte herkam, und die englische Linie der sozialen Evolutionstheorie, die Herbert Spencer vertrat, lehnte er weitgehend ab. Man kann sich Gelehrte vorstellen, die auf weniger einsamem Posten stehen.
    Der Grund aber, weshalb Weber den Eindruck hatte, zwischen allen Linien gelandet zu sein, war eine von ihm wahrgenommene Wissenschaftskrise. Die Historische Schule der Nationalökonomie etwa erwies sich bei näherer Betrachtung als eine ungeheure Ansammlung wirtschaftsgeschichtlicher Informationen, die mittels völlig undurchdachter Begriffe und Methoden zu einem politischen Weltbild verarbeitet worden waren. Man sprach von Naturgesetzen der Wirtschaft, widersetzte sich aber abstrakter Begriffsbildung. Man ließ die Volkswirtschaft aus dem Volk hervorgehen, das besondere Anlagen und Triebe habe, klärte aber nicht, woraus sich diese ergeben. Jedes Volk durchlaufe Entwicklungsstadien, hieß es weiter, so wie es auch biologische Wesen von ihrer Entstehung bis zu Reife, Altern und Untergang tun, doch es blieb unklar, worauf sich diese These gründete. Für das Handeln der wirtschaftlichen Akteure wiederum machte man zwar ein ganzes Bündel von Motiven verantwortlich – vom Eigennutz, der Liebe Gottes, der Gerechtigkeitsidee und dem Wohlwollen, bis hin zum Drang nach innerer Freiheit –, von anderem als dem Eigennutz war in den ökonomischen Betrachtungen dann aber doch nicht die Rede; das Wohlwollen und die Gerechtigkeit wurden an den Staat delegiert.
    Vor allem aber strebte die Historische Schule «Totalität»
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